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Deutschland unschätzbare moralische Eroberungen machen werde. Sein Gutachten, am 28. November 1817 nach Berlin abgesandt, zeichnet sich durch eine schwungvolle Sprache aus, deren Wirkung bei einem Auszug sehr viel verlieren würde. Es folge hier daher gleichfalls seinem Wortlaute nach.


„Als mich Euer Excellenz mit Ihrem Besuche in Posen beehrten, war ich von den Folgen einer heftigen Krankheit so abgemüdet, dass ich es nur mit wenigen Worten vermochte, Ihnen meine Ideen über eine Verfassung für unsern Staat leise zu bezeichnen. Ew. Excellenz erlaubten mir, mein Votum schriftlich nachzutragen. Ich thue dies in dem folgenden gedrängten Aufsatze, von welchem ich heute Seiner Durchlaucht dem Herrn Staatskanzler eine Abschrift einreiche.

Ich spreche zu einer Zeit, wo noch kein Beschluss gefasst ist, wo meine Meinung verlangt wird, aus reinem, kräftig für unsere Sache fühlenden Herzen, in dem lebendigen Gefühle meiner Bürger- und Beamtenpflicht. Es bedarf der Erwähnung nicht, dass ich, als Unterthan und treuer Diener Seiner Majestät, ausführen helfen werde, was auch des Königs höhere Weisheit beschliessen mag.

Noch sind wir keine Nation.

Der Preussische Staat ist eine Masse einzelner sehr verschiedenartiger Theile, deren unnatürliche Verbindung ein Problem der höchsten Staatsklugheit wird.

Nur in einer der Reife der Zeit angemessenen Verfassung, in der jeder denkende und fühlende Mann das durch die grossen Begebenheiten der letzten dreissig Jahre gezeitigte Product seines eigenen Kopfes und Herzens findet, können diese heterogenen Theile einst in ein Ganzes fliessen, und die verschiedenen Zweige von Völkerstämmen, die es bilden, endlich in eine Nation übergehen.

Sind wir zu einer solchen Verfassung reif?

Das Volk hat durch Anstrengungen, die in die Zeiten der Griechen und Römer datiren, durch hohe, tugendhafte Opfer verunglückte Unternehmungen der Regierung gut gemacht, und könnte diese Frage, die es bereits mit vielem Blute und heissen Thränen beantwortet zu haben glaubt, befremdend finden. Aber, dies übersehn: wann werden wir das Ideal erreichen, wenn man unsere Unmündigkeit verewigt? Je väterlicher die unbegrenzte Herrschaft ist, je lähmender sind ihre Folgen; je mehr überhebt sie die Regierten des Selbstdenkens; je mehr schlummert sie ein.

Schmeichelei wäre hier ein Verbrechen der beleidigten Majestät; täuschen wir uns nicht. Es war nicht bloss eine unüberwindliche Anhänglichkeit an die Regierung, die dem Volke das Schwert der

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1893, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1893_09_091.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2023)