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benutzt hat, als wir sie in der neuen Quelle vor uns haben. Aber ohne Grund setzt Rühl voraus (z. B. S. 686), dass Plutarch diese Berichte bei Aristoteles gelesen habe. Nachweislich hat Plutarch die Aristotelische Politeia beautzt, aber in welchem Umfange er sie benutzt hat, ist damit nicht gesagt. Und gerade ein Stück, das besonderen Anstoss erregt und von Plutarch nicht beachtet wird, hat zweifellos in der Aristotelischen Schrift gestanden; im Argument des Areiopagitikos von Isokrates wird erwähnt, dass nach Aristoteles (Fr. 366 Rose) Themistokles und Ephialtes den Areopag gestürzt haben sollen. Ein Grund, irgend einen Abschnitt des erhaltenen Textes der ursprünglichen Schrift abzusprechen, liegt mithin nicht vor. Dass sie im einzelnen kleine Zusätze erfahren hat, soll damit nicht bestritten werden, und an einer von Rühl (S. 700) mit Recht betonten Stelle ist eine Interpolation sogar höchst wahrscheinlich. Aber zwischen einer Reihe von Interpolationen und einer planmässigen Ueberarbeitung ist ein grösser Unterschied.

Nissen, Herzog und Niese halten an dem Aristotelischen Ursprunge im strengsten Sinne fest. Alle drei behaupten, die Gegner der Echtheit machten sich von dem, was man Aristoteles zutrauen und nicht zutrauen darf, einen falschen Begriff. Herzog[1] wirft uns sogar vor, das Bild von Aristoteles, welches uns mit dem Charakter der Londoner Schrift unvereinbar erscheint, sei ad hoc gemacht, um Aristoteles die Autorschaft abzusprechen, während Nissen[2] anerkennt, dass die Auffassung von Aristoteles, von welcher wir ausgehen, die bisher herrschende ist. In den neuen Ansichten über Aristoteles, die sie aus der Ἀθηναίων πολιτεία gewinnen, gehen Niese, Herzog und Nissen weit auseinander.

Niese meint, die Mängel unserer Schrift erklärten sich befriedigend aus der Beschaffenheit des Materials, das Aristoteles benutzen konnte, und der geringen Sorgfalt, die er, entsprechend dem Geiste seiner Zeit, auf dies Material verwandt hätte. Dem gegenüber sind Rühl’s Untersuchungen von grossem Werthe. Sie haben jedenfalls das unumstösslich erwiesen, dass aus der Ueberlieferung sich eine bessere Kenntniss der Athenischen Geschichte gewinnen liess, als sie in der Politeia vorliegt, und dass andere eine solche bessere Kenntniss thatsächlich gewonnen haben. Dass aber Aristoteles in historischer Forschung weniger geleistet habe, als mit den Mitteln seiner Zeit möglich war, kann man nicht annehmen, da er in der Politik eine für seine Zeit vortreffliche Geschichtskenntniss an den Tag legt. Die gröbsten Verstösse gegen die Wahrheit weist die Ἀθηναίων πολιτεία gerade in der Geschichte des fünften Jahrhunderts auf, also in einem

  1. S. 31 A. 2.
  2. S. 162.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_08_145.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2023)