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dessen Sohn. So war das formelle Thronrecht, dessen strenge Aufrechterhaltung Constantin in diesem Zeitalter der Soldatenwillkür als der einzige Rettungsanker erschienen war, für ihn selbst in Nichts zerfallen und das ganze System, welchem er bisher mit Ueberzeugung und Entsagung gedient hatte, rettungslos zusammengestürzt. Der böse Schwiegervater hatte ihm mit seinem Tode einen schwereren Streich versetzt, als je in seinem Leben; wahrlich, es war nicht nur Grossmuth gewesen, wenn er dem grauhaarigen Thoren die verdiente Strafe geschenkt hatte. Aber Constantin pflegte nicht um Mittel verlegen zu sein. Schnell entschlossen setzte er an die Stelle seiner untergegangenen Legitimität eine neue, die freilich fadenscheinig genug war, sich aber doch allmählig einbürgern und ein Princip für die Zukunft schaffen konnte. Einer seiner Hofgelehrten machte plötzlich die glückliche Entdeckung, dass sein Vater Constantius aus einer unehelichen Verbindung des Divus Claudius herstamme[1], eines der wenigen Kaiser, welche im dritten Jahrhundert weder entthront noch ermordet waren. Auch Constantin selbst war ja einem Concubinat entsprossen, und wie wir schon dargelegt haben,

  1. Eumen. Paneg. VII, 2; VIII, 2; 4; Anon. Vales. I, 1; Eutrop. IX, 22; Zon. XII, 31; Euseb. hist. eccl. X, 8, 4; vita Const. I, 50; Julian. or. I, p. 6 D; II, p. 51 C; Caes. p. 313 D; Vita Claud. 1 ff.; Tyrann. 31, 6; Aurel. 44, 4; Heliog. 2, 4; 35, 2; Gall. 7, 1; 14, 3; CIL. II, 4844; III, 3705; 5207; XI, 9; Notizie degli scavi 1881, S. 320. Nach der ältesten Version, welche sich bei Eumenius (VII, 2 avita cognatio) und in der Mehrzahl der Inschriften findet, war Claudius Grossvater Constantin’s, also Vater des Constantius. Da dessen legitime Abstammung von einem Kaiser nicht so lange hätte verborgen bleiben können, muss eine illegitime gemeint gewesen sein. Dies war wohl auch der Grund, warum die Claudiuslegende bei den Christen, welche den Concubinat verdammten, so wenig Anklang fand. Lactanz schweigt ganz darüber, Eusebius erwähnt sie nur sehr schüchtern, ja Constantin selbst hat nur dem ersten Sohne, welcher ihm nach der Erfindung jenes Stammbaumes geboren wurde, den Namen Claudius beigelegt. Bei Constantius und Constans unterdrückte er ihn wieder, wahrscheinlich weil zur Zeit ihrer Geburt die christlichen Sittlichkeitsbegriffe sich auch bei ihm schärfer ausgebildet hatten. Später ist jener Stammbaum in der mannichfachsten Weise umgestaltet worden, aber immer so, dass die Herkunft des Constantius vom Divus Claudius zu einer legitimen gemacht wurde. Dessau, Ueber Zeit und Persönlichkeit der Scriptores Historiae Augustae, Hermes XXIV, S. 342 ff. Klebs, Das dynastische Element in der Geschichtschreibung der Röm. Kaiserzeit. Histor. Zeitschr. N. F. XXV, S. 227.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_299.jpg&oldid=- (Version vom 2.2.2023)