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im höchsten Grade gewesen. Da die zuchtlos plündernde Masse des Donauheeres sich nur sehr langsam vorwärts wälzte, so hätte Constantin, der in Südgallien stand, mit seinen wohldisciplinirten und leistungsfähigen Truppen wahrscheinlich früher am Fusse der Julischen Alpen eintreffen können als Galerius. Denn vorher grosse Massen zu concentriren, war unnöthig; auch eine kleine, aber gut geführte Schaar hätte genügt, um jene aufgelösten Banden in alle vier Winde zu zerstreuen, und Constantin hat sich vor dem Angriff auf weit überlegene Heere bekanntlich nie gescheut. Aber selbst wenn er sich Zeit liess und den Fliehenden nicht abschnitt, sondern erst im Gebiet der Save oder der Donau einholte, war ihm der Sieg so gut wie gewiss. Denn die Hauptmacht der Illyrischen Provinzen war ja nach Italien geführt und dort beinahe kampfunfähig geworden, und der kleinere Rest stand in weit zerstreuten Quartieren am ganzen Laufe der Donau vertheilt, konnte also schwerlich noch zu rechter Zeit zusammengezogen werden. Und wenn das Wagniss auch grösser gewesen wäre, der Preis war seiner werth. Nach Vernichtung des Galerius hätte Constantin ausser seinen alten Provinzen den Lauf der Donau von der Quelle bis zur Mündung, die ganze Balkanhalbinsel und ausserdem noch Oberitalien beherrscht. Da Afrika dem alten Maximian blind ergeben war, wäre Maxentius auf die Italische Halbinsel südlich des Appennin beschränkt geblieben, und hier konnte er sich kaum ein paar Monate halten. Denn die Kornproduction dieses Landes genügte schon seit Jahrhunderten nicht mehr, um seine Bewohner zu ernähren; nach den Verwüstungen des Galerius musste dies erst recht der Fall sein. Der Afrikanischen Zufuhren beraubt, wäre das Heer in Rom ohne Belagerung ausgehungert worden oder es hätte sich zu einem Verzweiflungskampfe den weit überlegenen Massen der vereinigten Rhein- und Donautruppen entgegenstellen müssen. Dann wäre nur noch Maximinus Daja zu besiegen übrig geblieben, falls er sich nicht, die Uebermacht des Gegners erkennend, freiwillig unterwarf. Wäre also Constantin dem Rathe seines Schwiegervaters gefolgt, so hätte er die Alleinherrschaft, um welche er noch siebzehn Jahre ringen sollte, schon jetzt gewinnen können, und dass es ihm nicht an Muth zu einem so kühnen Vorgehen fehlte, hat er genugsam bewiesen. Trotzdem blieb er als unthätiger Zuschauer in Gallien stehen

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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_285.jpg&oldid=- (Version vom 1.2.2023)