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des Christenthums von höchster Bedeutung, da alle zweifelhaften Heiden durch das Beispiel ihres Herrschers fortgerissen werden mussten, und jedenfalls war dies der einzige Zweck, welcher Constantin zu so ostensibler Anerkennung der neuen Religion veranlasste. Denn hätte er durch die Concilien die Kirche beherrschen wollen, so wäre er gewiss nicht allen übrigen Bischofsversammlungen fern geblieben. Ueberdies war ein Organ wie die ökumenischen Synoden, das alle zehn Jahre höchstens einmal in Wirksamkeit trat, zu einem dauernden und consequenten Eingreifen in die kirchlichen Angelegenheiten ganz ungeeignet. Dazu hätte es ständiger vom Kaiser ernannter Aufsichtsbeamten bedurft, denen die Mehrzahl der Bischöfe, durch die vorhergegangene Verfolgung eingeschüchtert, gewiss nicht den Gehorsam versagt hätte. Aber an die Schöpfung solcher Institutionen, welche die Zügel des geistlichen Regiments fest in seine Hand gelegt hätten, hat Constantin niemals gedacht. Er strebte als demüthiger Catechumene nach der Gnade des Herrn, nicht nach der Herrschaft über seine Kirche.

Der Beistand der heidnischen Dämonen liess sich durch reiche Opfer und Gelübde erkaufen; der Christengott aber stellte an seine Gläubigen sittliche Anforderungen, und Constantin war eifrig bemüht, ihnen genug zu thun. Die Moral des damaligen Christenthums gipfelte in der Verherrlichung der Askese und einer überstrengen Verurtheilung aller Fleischessünden. Dass auch Constantin sich ihr anschloss, zeigt die Aufhebung aller rechtlichen Nachtheile, mit denen Augustus die Ehe- und Kinderlosen bestraft hatte[1], sowie eine lange Reihe der strengsten Gesetze, durch welche er die Sittlichkeitsvergehen mit grausamer Härte auszurotten suchte[2]. Auch hat er sich nicht gescheut, die Gattin und den ältesten Sohn, auf welchem die Hoffnung des Reiches beruhte, dem Henker zu übergeben, weil sie des Ehebruchs verdächtig waren und sowohl die Bibel als

    Zeitgenossen die Theilnahme Constantins an den Concilien auffassten und ohne Zweifel auch auffassen sollten.

  1. Cod. Theod. VIII 16; Euseb. vit. Const. IV 26.
  2. Cod. Theod. I 22, 1; II 17, 1 § 1; III 16, 1; IV 6, 2; 3; 8, 7; 11, 1; 5; IX 1, 1; 7, 2; 8, 1; 9, 1; 24, 1; 38, 1; XII 1, 6; XV 8, 1; Cod. Just. V 26. Alle diese Gesetze suchen in der einen oder anderen Weise die Sittlichkeit zu fördern, und die Liste dürfte kaum noch vollständig sein.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_099.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2023)