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für seine Anschauung vom Wesen der Geschichte hauptsächlich ästhetische Gesichtspunkte den Ausschlag geben.

Als ein hervorragendes Verdienst muss es nun da bezeichnet werden, dass er das Problem des Verhältnisses von Freiheit und Nothwendigkeit, in welchem die tiefsten Räthsel geschichtlichen Lebens wurzeln, auf das Gründlichste untersucht. Er thut dies in der preisgekrönten Abhandlung über die Freiheit des menschlichen Willens[1], vielleicht dem Besten, was er geschrieben hat. Voraussetzung derselben ist freilich seine Willenstheorie. Im Krystall wie in der Pflanze, im Thiere wie im Menschen erkennt Schopenhauer als treibendes Element ein Gemeinsames, den Willen, der seiner Potentialität nach bald Natur, bald Lebenskraft oder Wille im engeren Sinne des Wortes genannt zu werden pflegt. Man hat nun mit Recht darauf hingewiesen, dass diese Behauptung besten Falls metaphorische Geltung hat[2], und in der That erinnert das, was Schopenhauer „über den Willen in der Natur“ vorträgt, lebhaft an das schöne poetische Glaubensbekenntniss der Naturphilosophie[3]. Auf diesen Willen aber, als den mehr oder minder starken Lebensodem aller Objecte der organischen

  1. Die beiden Grundprobleme der Ethik. 1839. Ich citire nach der 2. Aufl. Leipz. 1860.
  2. Dies thun Trendelenburg u. Haym, vgl. bei letzterem S. 66: „Das wechselseitige Vertauschen des generellen Begriffs der Kraft u. des speciellen Begriffs Wille, dieses Vexirspiel mit dem Wort Wille – in Verbindung mit dem Vexirbegriff des Dings an sich – dies allein macht es Schopenhauer möglich, auf der einen Seite den menschlichen Willen und mit ihm die ganze Ethik zu naturalisiren, auf der anderen Seite die Natur phantastisch-poetisch zu anthropomorphosiren“. Wenn dagegen Frauenstädt in der Einl. zu Sch.’s Werke Bd. I, S. L einwendet, dass bei allen Gemeinbegriffen, also in unserem Falle auch bei dem Begriff Wille, nach Abzug der specifischen Artunterschiede nur das all diesen Artunterschieden „gemeinsame Wesentliche übrig gelassen“ werde, so bestreiten ja eben Trendelenburg u. Haym dieses „gemeinsame Wesentliche“ in allen Naturobjecten, sie bestreiten vor allem, dass wir durch das Selbstbewusstsein auf den Willen im weiteren Sinne geführt werden. Zum mindesten musste Sch. für den Willen, zum Unterschied von dem menschlichen Willen, einen besonderen Terminus prägen.
  3. Das „Epikurisch Glaubensbekenntniss Heinz Widerporsten’s“. Aus Schelling’s Leben, Bd. 1 vgl. bes. die auch von Treitschke, Deutsche Gesch. 2, 83 citirte Stelle: „Vom ersten Ringen dunkler Kräfte bis zum Erguss der höchsten Lebenssäfte ist eine Kraft, ein Wechselspiel u. Weben, ein Trieb u. Drang nach immer höh’rem Leben.“
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1890, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1890_03_054.jpg&oldid=- (Version vom 20.10.2022)