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sie standen die Fragen des Geld- und Bankwesens, die abstracten Theorien der Grundrente, des Lohns und Capitalgewinns allen anderen voran: eine Einseitigkeit, die in Verbindung mit dem rein privatwirthschaftlichen Charakter der Lehre die „Political Economy“ immer mehr zum Ausdruck der Classenanschauungen und Classeninteressen des besitzenden städtischen Bürgerthums, zur Dienerin des mobilen Kapitals gemacht hat.

Nun ist zwar Grote, obgleich er als Banquier und Finanztheoretiker, als langjähriger Vertreter der City im Parlament mitten in den Geschäftsinteressen von Lombardstreet stand, durch seine umfassende classische Bildung und seinen humanen und edlen Sinn davor bewahrt geblieben, der herrschenden Wirthschaftslehre bis zu der Vergötterung des Capitals zu folgen, welche das letzte Ergebniss dieser öden Geldwechslerökonomie ist. Für seine Empfindungsweise hatte der Cynismus, den er selbst gelegentlich an der Schule Bentham’s beklagt[1], etwas Abstossendes. Auf der anderen Seite aber begegnete die abstracte Methode der Entwicklung wirthschaftlicher Gesetze, wie er sie in den Schriften seiner Freunde fand, einer sehr verwandten Richtung in seinem eigenen Geistesleben. Seine metaphysischen Neigungen konnten keine bessere Befriedigung finden, als durch diese Wissenschaft, welche so recht ihre Aufgabe in der logischen Correctheit der deductiv gewonnenen Lehrsätze, in der Aufstellung von Axiomen erblickte, aus denen alles Weitere sich mit logischer Nothwendigkeit ergab. Zudem standen die wirthschaftlichen Probleme, mit welchen sich Grote schon aus berufsmässigem Interesse beschäftigte[2], so sehr auch für die herrschende Schule im Vordergrunde der wissenschaftlichen Diskussion, dass es kaum noch des persönliche Verkehres mit Bentham, Ricardo, James Mill u. A. bedurft hätte, um Grote auf das mächtigste zu beeinflussen und in den Bannkreis der Schuldoctrin hinein zu ziehen.

  1. Ebenda p. 21.
  2. Bezeichnend für diese Uebereinstimmung sind die Fragen, welche nach dem Tagebuch von 1818 und 1819 den Mittelpunkt der nationalökonomischen Studien des jungen Grote bildeten: Theorie der Preise, Consumtion und Production, Verhältniss zwischen Capital und Arbeit, Theilung der Arbeit, Handelsindustrie, Wirkungen der Maschinentechnik, Anhäufung des Kapitals, Waarencirculation, Mercantilsystem, Münzpolitik, auswärtiger Handel, Wechsel- und Banknotentheorie u. s. w. Life of Gr. p. 29 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Quidde (Herausgeber): Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, Freiburg i. Br. 1890, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1890_03_017.jpg&oldid=- (Version vom 19.10.2022)