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Herde wissenschaftlicher Thätigkeit geworden und haben um ihre Lehrstühle eine zahlreiche und eifrige Schülerschaar versammelt. Die Écoles des Hautes Études, de Rome, des Sciences politiques, sind – wie auch fast alle oben genannten Zeitschriften – nach 1870 oder kurz vorher gegründet. Die Zahl der Studirenden ist sehr gewachsen und auch die Qualität ihrer Arbeiten hat sich verbessert. Die politische Feindseligkeit zwischen Frankreich und Deutschland hat sich auf wissenschaftlichem Gebiet in einen heilsamen Wettstreit verwandelt. Man hat die fremden Sprachen gelernt, geht auf deutsche Universitäten studiren, ist in ihren Geist und in ihre Methoden eingedrungen und hat sich in sehr viel ernsterer Weise für die Geschichte des Auslandes interessirt. Die Revue internationale de l’enseignement supérieur, Organ einer 1876 gegründeten Gesellschaft zum Studium öffentlicher Unterrichtsfragen, hat in dem Lehrkörper den lebhaften Wunsch nach Reformen und Fortschritt verbreitet, indem sie fortwährend auf das Beispiel fremder Nationen hinwies. Es hat nicht an gegnerischen Elementen gefehlt, die diese neuen Tendenzen tadelten und behaupteten, Frankreich würde seine angeborenen Eigenthümlichkeiten verlieren, ohne sich die fremden aneignen zu können, – die behaupteten, die Wissenschaft nach deutscher Manier treiben hiesse unsere literarischen Eigenschaften ersticken, indem die Aufforderung zu so minutiösen Studien die Verneinung unserer nationalen Traditionen wäre. Man vergass dabei, dass, wenn Frankreich auch das Land von Bossuet und Voltaire war, es nicht weniger das Land von Du Cange, Mabillon und Bréquigny ist, man vergass, dass Frankreich zu allen Zeiten Gelehrte gehabt hat, wie Quicherat, Guérard, L. Delisle, welche die tiefste und minutiöseste Gelehrsamkeit mit leuchtender Klarheit, mit glänzender und auserlesener Kunst der Darstellung vereinigt haben. Wer könnte denn heute, wenn er die Werke von Fustel de Coulanges, Boissier, Taine, de Broglie, A. Sorel, E. Lavisse[WS 1] liest, sagen, dass Frankreich das Mindeste von seinen literarischen und künstlerischen Eigenthümlichkeiten verloren hat? Aber andererseits ist es erfreulich, zu sehen, dass Frankreich Deutschland nacheifert auf dem Gebiet rein wissenschaftlicher Arbeiten in Philologie, Textkritik und Editionen, dass man die rein declamatorischen Gemeinplätze aus den Büchern der Professoren schwinden sieht und ihre Arbeiten sichtlich täglich an Solidität und Tiefe gewinnen. Statt die Gelehrsamkeit und die Literatur wie zwei feindliche Schwestern zu betrachten, sieht man in ihnen zwei einander unentbehrliche Alliirte; man nimmt nicht mehr an, dass man ein guter Historiker sein könne, wenn man nicht ein kritischer Gelehrter ist, oder dass Gelehrsamkeit ohne die Kunst des Styls auskommen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. lt. Korrektur-Meldung ergänzt um: und E. Renan
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_02_174.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)