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verdächtig, die beurtheilende Erzählung das Werk einer späten, dem Alterthum ganz fremd gewordenen Zeit“. Eben auf dieser Scheidung des Echten vom Unechten, des Gleichzeitigen vom Späteren, die zum Grundaxiom aller heutigen Quellenkritik geworden ist, beruht der Anspruch, welchen Niebuhr für seine Forschung erhebt, der Skepsis zum Trotz eine sichere und glaubhafte Geschichte herstellen und behaupten zu können[1]. Da die Nachfolger jedesmal die ihnen überkommene schriftliche Tradition, sei es vollständig oder wenigstens zum Theil, sei es im Wortlaut oder in redactioneller, vielleicht auch tendenziöser Bearbeitung in ihre Werke aufgenommen haben, so liegt auch der späteren Ueberlieferung häufig noch ein Kern guter Nachrichten zu Grunde, es kommt nur darauf an, ihn aus der Umhüllung fremdartiger Zuthaten loszulösen. Das Geschäft der Quellenkritik ist, hierzu die Kriterien zu finden, die denn nach den verschiedenen Gebieten historischer Forschung im Einzelnen verschieden genug sein mögen, im Ganzen aber doch alle auf jenen Satz zurückgehen, dass die ursprüngliche Tradition knapp und sachlich ist, häufig annalistischen Charakter trägt, die spätere Bearbeitung dagegen sich durchweg als reflectirend, ausschmückend, ausführlich kennzeichnet. Bei dem Stande unserer mittelalterlichen Ueberlieferung ist es nicht selten möglich gewesen, verlorene Quellenwerke mit ziemlicher Sicherheit sogar für ihren Wortlaut aus einer grossen Zahl von Ableitungen und Bearbeitungen wiederherzustellen; die ältere römische Geschichtsforschung muss in den meisten Fällen zufrieden sein, wenn sie den Inhalt bestimmter Abschnitte der gleichzeitigen Werke feststellen kann, – immer aber ist es dasselbe Ziel, welches verfolgt wird, und im letzten Grunde dieselbe Methode. „Ich vergleiche“, sagt Niebuhr in der zweiten Ausgabe[2], „das Ergebniss solcher Forschungen der Entblössung eines übertünchten alten Frescogrundes, von dem die Farbe ohne alle Spur herab ist, und nur der mit dem Griffel eingedrückte Umriss, wie ihn die alten Maler einzureissen pflegten, hie und da sichtbar wird: wir verachten den Fund nicht, aus dem sich doch errathen lässt, was einst dort gemalt stand.“

  1. T. 2 (2. Ausg. 1830) S. IV.
  2. II (1830) 134.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_02_030.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2022)