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sein elegantes Gebäude zu legen. Es fehlen für die von ihm versuchte Reconstruction der Entwicklung die Voraussetzungen.

Zunächst ist die Nitzsch’sche grosse Gilde ein leeres Phantasiegebilde. Diesen Nachweis hat bereits Hagedorn in den Geschichtsblättern für Magdeburg, Bd. XX, S. 83 ff., erbracht (was Kruse unbekannt geblieben ist). Wir können aber auch aus Kruse’s eigener Schilderung Argumente gegen die Gildetheorie entnehmen. Als wesentliche Eigenschaft der Gilde führt er an, dass sie „vollständig autonom“ sei (S. 157). Wie ist indessen daran zu denken, da ja weitaus die Mehrzahl der deutschen Städte (zumal in der ersten Zeit der städtischen Entwicklung, für welche allein die Existenz der Gilde behauptet wird) abhängig war! Die Gilde soll ferner ein specifisch „nordgermanisches“ Institut sein, wobei als „Nordgermanien“ – horribile dictu – Skandinavien, Norddeutschland, Nordfrankreich und England zusammengefasst werden! Sie wird also als Product eines besonderen ethnographischen Zusammenhanges angesehen, der thatsächlich nicht existirt hat. Endlich sei der Satz citirt, in welchem Kruse von der historischen Ueberlieferung über die Gilde spricht (S. 157): „Ihr Ursprung liegt in grauer Vorzeit und ist durch keine Nachricht, keinen Stiftungsbrief bezeugt.“ Würde sich jemand anders ausdrücken, wenn er die ganze Gildetheorie ironisiren wollte?

Eine Gilde (nur nicht die von Nitzsch construirte) ist in Köln im 12. Jahrhundert allerdings vorhanden. Wir wissen von ihr sehr wenig (wenn Kruse S. 166 ihr eine ausgebildete Organisation zuschreibt, so ist das absolut aus der Luft gegriffen). Durch Kruse’s eigene Ausführungen scheint jedoch Hegels Ansicht (Städtechroniken 14, Einleitung S. 75 Anm. 1) bestätigt zu werden, dass sie mit der später nachweisbaren Weinbruderschaft identisch ist. Welcher Art sie aber auch sein mag, jedenfalls stammt – das ist der Kern der Frage – die Competenz der Bürgermeister und Richerzeche nicht von ihr her. Vergegenwärtigen wir uns die Beweise, welche Kruse für seine Behauptung vorbringt. Den Mittelpunkt der Competenz jener Organe bilden einmal die Verleihung des Bürgerrechts, sodann die Ordnung des Masses und Gewichtes, des „feilen Verkaufes“, überhaupt des Gewerbewesens. Gibt es nun Urkunden, welche diese Befugnisse einer Gilde zusprechen? Kruse (S. 196) beruft sich auf das bereits mehrfach missbrauchte Privileg Heinrichs III. für Quedlinburg, wonach in Goslar, Quedlinburg, Magdeburg der „Gilde“ das iudicium de cibariis zustehe. Thatsächlich aber spricht das Privileg mit keinem Worte von einer „Gilde“ (s. meine Entstehung der deutschen Stadtgemeinde, S. 31). Ferner erklärt Kruse (S. 197) jene Competenzen für „naturgemässe Pertinenzen des Vorstandes einer Kaufgilde“.

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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 444. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_01_444.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2022)