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wirksam werden. Da mit den Blättern täglich nur ein gewisses Luftvolum in Berührung kommen kann, so kann die Pflanze aus dieser Luft nicht mehr Ammoniak und Kohlensäure aufnehmen als sie enthält, und es gehört demnach zur Aufnahme oder Vermehrung der Pflanzenmasse eine gewisse Zeit; nimmt sie in jedem Tage gleich viel auf, so nimmt sie in zwei Tagen doppelt so viel als in einem Tag.

Wenn die, Pflanze an günstigen Tagen doppelt oder viermal so viel mineralische Nahrung empfangen hat als sonst, so wird der Ueberschuss warten müssen, um wirksam zu sein, bis so viel Kohlensäure und Ammoniaktheilchen durch die Blätter hinzugekommen sind, dass sie zusammen zu Pflanzenbestandtheilen übergehen können. Keiner von den Nahrungsstoffen wirkt, wenn die andern nicht dabei sind und mitwirken. Wenn wir demnach, da es an Kohlensäure in der Regel nicht fehlt, den Ammoniakgehalt des Bodens oder der Luft vermehren, so wird unter gleichen Umständen die Entwickelung der Pflanze ausserordentlich beschleunigt, was nichts Anderes sagen will, als dass der Ertrag an Pflanzenmasse in der Zeit zunimmt, wie man dies an Mistbeeten sieht. Wären die Bodenbestandtheile nicht in der Pflanze gegenwärtig und wirkungsfähig gewesen, so würde das Ammoniak nicht die allergeringste Wirkung auf die Vermehrung der Pflanzenmasse gehabt haben.

Man wird demnach über die ausserordentliche Wirkung des Guano auf die Vermehrung der Kornerträge sich nicht wundern können, denn der Guano enthält nicht allein die Bedingungen zur Kornbildung, welche der Boden hergeben muss, sondern auch in dem Ammoniak einen unentbehrlichen Nahrungsstoff, der ihre Wirkung in der Zeit steigert und erhöht. Auf manchen Feldern kann das Ammoniak im Guano bei günstiger Witterung möglicherweise doppelt so viel von diesen Bodenbestandtheilen wirksam machen und in einem Jahr einen Ertrag liefern, den diese Bodenbestandtheile für sich allein erst in zwei Jahren geliefert hätten.

Man wird ferner einsehen, dass das Ammoniak für sich allein, einem Boden gegeben, der die Bedingungen zur Kornbildung in genügender Menge enthält, eine günstige Wirkung auf die Erhöhung des Ertrags haben muss; da man aber in dem geernteten Korn mehr von den Bedingungen hinwegnimmt, die das Ammoniak wirksam gemacht haben, so müssen die Erträge des Feldes in den folgenden Jahren – wenn man fortfährt Ammoniak zu geben, ohne die hinweggenommenen Bodenbestandtheile zu ersetzen – in eben dem Grad abnehmen als sie im ersten und zweiten Jahre höher gewesen sind.

Das Ammoniak ist mit einem Worte ein sehr nützliches Düngmittel, wenn es begleitet ist von den Bodenbestandtheilen, die es wirksam machen, oder wenn es im Boden die zu seiner Wirksamkeit nothwendigen Bedingungen vorfindet, und es wird vollkommen werthlos für den Landwirth, wenn er für den Ersatz oder die Zufuhr dieser Bedingungen nicht Sorge trägt.

In einem Boden, welcher reich genug an Stickstoff und arm an einzelnen für die Cultur mancher Gewächse unentbehrlichen Bodenbestandtheilen ist, ist die Anwendung des Ammoniaks oder seiner Salze jedenfalls unnützlich, und häufig geradezu schädlich. Auf einem solchen Boden, dem es einfach an Phosphorsäure fehlt, wird diese – unbegleitet von

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 433. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_433.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)