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Diese Lehrer gehen aber noch viel weiter. In Nr. 247 des Schwäbischen Merkurs vom 15. October 1856 ist ein Artikel über den Chili-Salpeter und seine Anwendung von einem Professor an einer der ersten landwirthschaftlichen Akademien Deutschlands abgedruckt, worin gesagt ist: mit einem Centner Chili-Salpeter vermöge man dieselbe Wirkung hervorzubringen wie mit 75–80 Centnern Stallmist, während Guano nur 60–70 Centner ersetze – ein Centner erzeuge etwa drei Centner Getreidekörner. Jedoch sei nur im ersten Jahr eine Wirkung wahrzunehmen – der Centner koste 12 fl., und der Gleichwerth eines Centners Stallmist komme demnach auf 6 kr. zu stehen.

Diese Anzeige ist die Spitze der Theorie unserer Lehrer der modernen Landwirthschaft; sie soll den düngerbedürftigen bemittelten Bauer und kleinen Landwirth veranlassen, Chili-Salpeter zu kaufen, ein Salz, das nichts von den Aschenbestandtheilen der Halmewächse, sondern Salpetersäure und Natron enthält, und von dem versichert wird, dass ein Centner drei Centner Getreidekörner einbringe, der zwar nur ein Jahr wirke, aber dennoch 75–80 Centner Stallmist ersetze, dessen günstige Wirkung auf einem Feld nach sieben bis acht Jahren noch bemerkbar ist. Die einfache Vergleichung des Chili-Salpeters mit dem Guano und Stallmist ist eine Versündigung an dem gesunden Menschenverstand, und die Empfehlung desselben mit obligater Unterschätzung des Guano und Stallmistes eine Beschädigung des Eigenthums von Tausenden durch einen gewissenlosen oder unwissenden Rathgeber.

Man kann ein solches Verfahren vielleicht einem Handlungsreisenden für einen Speculanten in Chili-Salpeter verzeihen, allein wenn dergleichen Lehren von Lehrern der Landwirthschaft und einer ganzen Schule verbreitet werden, wenn sie den Landwirth durch ein schlechtes, auf die grosse Mehrzahl der Fälle ganz unanwendbares Rechenexempel glauben machen wollen, dass der Stickstoff doppelt so viel Werth für ihn habe als die Phosphorsäure, fünfmal so viel als Kali und zwölfmal so viel als phosphorsaurer Kalk, so müssen sich alle Verständigen vereinen sie zur Rechenschaft zu ziehen; was man von ihnen mit Recht verlangen kann, ist nur Billiges: sie sollen durch wahrheitgetreue Darlegung einfacher, richtig beobachteter Thatsachen ihre Lehren beweisen und dafür einstehen.

Obwohl diesen Männern in den letzten Jahren auf das augenscheinlichste dargethan worden ist, dass ihre Ansichten und Lehren auf einem Irrthum beruhen, so hat dies keinen überzeugt; alle sind gekommen und haben, einer nach dem andern, den ohnmächtigen Versuch gemacht – nicht neue schlagende Beweise für ihre Lehre beizubringen – sondern Zweifel gegen die Tragweite der sie widerlegenden Thatsachen zu erwecken; keiner hat nur in Gedanken gewagt, ihre zahlreichen eigenen Versuche und chemischen Analysen, aus denen sie ihre Folgerungen zogen, als Stützen für ihre Lehre anzusprechen, weil sie wussten, dass alle diese Arbeiten eine streng wissenschaftliche Prüfung nicht auszuhalten vermögen. Hülfeflehend wenden sie sich jetzt an die nämlichen Landwirthe, denen sie durch diese Analysen die Ueberzeugung eingeflösst hatten, dass der Stickstoff der einzig wirkende Bestandtheil im Guano, im Knochen- und Repskuchenmehl sei, um sie zu vermögen, Zeugniss abzulegen, dass sie ihnen gut gerathen hätten, und dass die landwirthschaftlichen Erfahrungen

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_431.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)