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bei einem Gehalt von 1 Procent auf Jahrhunderte, bei 1/10 Procent auf Jahrzehnte.

„Auf ähnliche Weise wie der auf seiner ursprünglichen Stelle ruhende Verwitterungsboden verhält sich der translocirte; die unter ihm liegende Gebirgsart wird ebenfalls verwittern etc.“

Diese Beweisführung schliesst unser Lehrer der praktischen Landwirthschaft mit den Worten: „Die beiden Punkte, nämlich:

die Steigerung der Fruchtbarkeit eines Feldes durch die Brache und die mechanische Bearbeitung und Hinwegnahme der Bodenbestandtheile in den Ernten ohne Ersatz derselben, hat in kürzerer oder längerer Zeit eine dauernde Unfruchtbarkeit zur Folge; ferner: wenn der Boden seine Fruchtbarkeit dauernd bewahren soll, so müssen ihm nach kürzerer oder längerer Zeit die entzogenen Bodenbestandtheile wieder ersetzt, d. h. die Zusammensetzung des Bodens muss wieder hergestellt werden,

haben daher in der Jetztzeit nur auf die schlechtesten Bodenarten, die ab ovo der Zufuhr bedürftig wären, Anwendung.“ (W. S. 34.)

Die so eben gegebene Beweisführung eines unserer anerkannt besten Lehrer der praktischen Landwirthschaft, welche im Einklang stehen soll mit seinen landwirthschaftlichen Erfahrungen, dürfte ganz geeignet sein, bei vielen unserer nachdenkenden Landwirthe gerechte Bedenken über die Wahrheit der herrschenden landwirthschaftlichen Lehre zu erwecken.

Der einfache gesunde Menschenverstand verlangt zur Führung des Beweises, dass nur die schlechtesten Bodenarten, um eine neue Ernte zu geben, des Ersatzes an den hinweggenommenen Bodenbestandtheilen bedürftig wären, einen vollständigen Nachweis aus dem gewöhnlichen landwirthschaftlichen Betrieb, dass fruchtbare Felder, um fruchtbar zu bleiben, dieser Zufuhr thatsächlich nicht bedürfen, dass sie seit zehn, zwanzig oder hundert Jahren jedes Jahr Ernten geliefert haben, ohne irgend einen Ersatz an den hinweggenommenen Bodenbestandtheilen zu empfangen!

Diesen Beweis, den einzigen, den der Beweisführer zur Widerlegung der Resultate der chemischen Analysen des Bodens von seinem Standpunkt aus führen könnte, ist er uns schuldig geblieben, eben so wie die Feststellung des Begriffs von einem „fruchtbaren Feld“; es ist nämlich klar, dass wenn er unter einem fruchtbaren Feld nur solche Felder meint, wie sie sich ausnahmsweise in Ungarn, in manchen Theilen von Russland, in Niederungen und Thälern, die als Wiesen benützt werden, finden, und welche unerschöpflich scheinen, weil sie noch nicht erschöpft sind, so gehören 99 von 100 Feldern, die man in Bayern, Preussen, Sachsen fruchtbar nennt, zu den schlechtesten Bodenarten – eine Ansicht, die man nicht unterstellen kann.

Unser Lehrer der praktischen Landwirthschaft hält sich an alle diese thatsächlichen Dinge nicht, sondern er schafft sich seine Beweismittel in eigener Weise. Ohne uns zu sagen was er unter einer Gebirgsart, Boden oder Untergrund versteht, und welche Gebirgsart, Boden oder Untergrund er meint, verfährt er mit diesen Bezeichnungsweisen, wie wenn alle Boden-, Gebirgs- und Untergrundarten identisch wären, und

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_410.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)