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In dem Stallmist empfängt das Feld eine gewisse Quantität von organischen, d. h. verbrennlichen Stoffen und Aschenbestandtheilen der verzehrten Nahrung. Es ist jetzt die Frage zu erörtern, welchen Antheil die verbrennlichen und unverbrennlichen Bestandtheile des Mistes an dieser Wiederherstellung der Fruchtbarkeit hatten.

Die oberflächlichste Betrachtung eines Culturfeldes giebt zu erkennen, dass alle verbrennlichen Bestandtheile der Gewächse, welche auf dem Felde geerntet werden, aus der Luft, und nicht vom Boden stammen.

Wenn der Kohlenstoff nur eines Theils der geernteten Pflanzenmasse von dem Boden geliefert würde, so ist es klar wie der Tag, dass, wenn er eine gewisse Summe von der Ernte davon enthält, diese Summe nach jeder Ernte kleiner werden müsste. Ein an organischen Stoffen armer Boden müsste minder fruchtbar sein als ein daran reicher.

Die Beobachtung zeigt, dass ein in Cultur gehaltener Boden in Folge der Culturen nicht ärmer an organischen oder verbrennlichen Stoffen wird. Der Boden einer Wiese, von welcher man per Hectare in zehn Jahren 1000 Centner Heu genommen hat, ist nach diesen zehn Jahren an organischen Stoffen nicht ärmer, sondern reicher wie zuvor. Ein Kleefeld behält nach der Ernte in den Wurzeln, die dem Felde verbleiben, mehr organische Stoffe, mehr Stickstoff als es ursprünglich enthielt; es ist aber unfruchtbar für den Klee geworden, es liefert keine lohnende Ernte mehr.

Ein Weizenfeld, ein Kartoffelfeld ist nach der Ernte nicht ärmer an organischen Stoffen als vorher. Im Allgemeinen bereichert die Cultur den Boden an verbrennlichen Bestandtheilen, aber seine Fruchtbarkeit nimmt dennoch stetig ab; nach einer Reihe von aufeinanderfolgenden lohnenden Ernten von Korn, Rüben und Klee gedeihen das Korn, die Rüben, der Klee auf demselben Felde nicht mehr.

Da nun das Vorhandensein von verwesbaren organischen Stoffen im Boden dessen Erschöpfung durch Culturen nicht im mindesten aufhält oder aufhebt, so kann durch eine Vermehrung dieser Stoffe die verlorene Ertragsfähigkeit unmöglich wieder hergestellt werden.

In der That gelingt es nicht, einem völlig erschöpften Felde durch Einverleibung von ausgekochten Sägespänen oder von Ammoniaksalzen, oder durch beide zusammen die Fähigkeit wieder zu geben, dieselbe Reihe von Ernten zum zweiten- und drittenmal zu liefern. Wenn diese Stoffe die physikalische Beschaffenheit des Bodens verbessern, so üben sie einen günstigen Einfluss auf die Erträge aus; allein ihre Wirkung ist zuletzt immer die, dass sie die Erschöpfung der Felder beschleunigen und vollständiger machen.

Der Stallmist stellt aber die Fähigkeit des Feldes, dieselben Reihen von Ernten zum zweiten, dritten und hundertsten Male zu liefern, auf das Vollständigste wieder her; der Stallmist hebt den Zustand der Erschöpfung des Feldes je nach seiner Quantität völlig auf, seine Zufuhr macht das Feld fruchtbarer, in vielen Fällen mehr als es je gewesen ist.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 401. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_401.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)