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Wenn 4000 Pfund Körner und 10,000 Pfund Stroh 100 Pfund Kali und 50 Pfund Phosphorsäure zu ihrer Entwickelung bedürfen, und eine Hectare Feld diese 100 Pfund Kali und 50 Pfund Phosphorsäure in löslichem aufnehmbarem Zustande enthält, so reichen diese Mengen zu diesem Ernteertrag hin; enthält das Feld doppelt oder hundertmal so viel, so erwarten wir zwei oder hundert Ernten; so haben wir gelehrt.

Alles dies ist ein grosser Irrthum gewesen.

Wir haben aus der Wirkung, welche das Wasser und die Kohlensäure auf das Gestein ausüben, auf die Wirkung beider auf die Ackererde geschlossen, aber dieser Schluss ist falsch.

Es giebt in der Chemie keine wunderbarere Erscheinung, keine, welche alle menschliche Weisheit so sehr verstummen macht, wie die, welche das Verhalten eines für den Pflanzenwuchs geeigneten Acker- und Gartenbodens darbietet.

Durch die einfachsten Versuche kann sich Jeder überzeugen, dass beim Durchfiltriren von Regenwasser durch Ackererde oder Gartenerde dieses Wasser keine Spur von Kali, von Kieselsäure, von Ammoniak, von Phosphorsäure auflöst, dass die Erde von allen den Pflanzennahrungsstoffen, die sie enthält, kein Theilchen an das Wasser abgiebt, dass das Wasser nichts davon hinwegnimmt. Der anhaltendste Regen vermag dem Felde, ausser durch mechanisches Hinwegschwemmen, keine von den Hauptbedingungen seiner Fruchtbarkeit zu entziehen.

Die Ackerkrume hält aber nicht nur fest, was von Pflanzennahrungsstoffen in ihr ist, sondern ihr Vermögen den Pflanzen zu erhalten, was diese bedürfen, reicht noch viel weiter. Wenn Regen- oder ein anderes Wasser, welches Ammoniak, Kali, Phosphorsäure, Kieselsäure in aufgelöstem Zustand enthält, mit Ackererde zusammengebracht wird, so verschwinden diese Stoffe beinahe augenblicklich aus der Lösung; die Ackererde entzieht sie dem Wasser. Und nur solche Stoffe werden dem Wasser von der Ackererde vollständig entzogen, welche unentbehrliche Nahrungsmittel für die Pflanzen sind, die andern bleiben ganz oder zum grössten Theil gelöst.

Füllt man einen Trichter mit Ackererde und giesst auf diese Erde eine Auflösung von kieselsaurem Kali (Kali-Wasserglas), so lässt sich meistens in dem abfliessenden Wasser keine Spur von Kali und nur unter gewissen Umständen Kieselsäure entdecken.

Löst man frisch gefällten phosphorsauren Kalk oder phosphorsaure Bittererde in Wasser, welches mit Kohlensäure gesättigt ist, und lässt diese Lösungen in gleicher Weise durch Ackererde durchfiltriren, so enthält das abfliessende Wasser keine Phosphorsäure. Eine Auflösung von phosphorsaurem Kalk in verdünnter Schwefelsäure oder von phosphorsaurem Bittererde-Ammoniak in kohlensaurem Wasser verhält sich auf gleiche Weise. Die Phosphorsäure des phosphorsauren Kalks, die Phosphorsäure und das Ammoniak des Bittererdesalzes bleiben in der Erde zurück.

Die Kohle verhält sich gegen manche lösliche Salze ähnlich; sie nimmt Farbstoffe und Salze aus Flüssigkeiten in sich auf; es liegt nahe, den Grund der Wirkung beider in einerlei Ursache zu suchen;

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_350.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)