Seite:De Chemische Briefe Justus von Liebig 348.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


Felder alle diese Stoffe in gehöriger Menge enthalten, sind sie hingegen ungleichwerthig, denn in dem Fall, wo einer davon im Boden fehlt, kann er nur dann auf eine Ernte rechnen, wenn er diesen fehlenden Bestandtheil dem Felde giebt; der fehlende oder mangelnde gewinnt dann einen Werth vorzugsweise, d. h. in Beziehung zu den andern, die sein Feld (wie z. B. der Kalk im Kalkboden) in grösster Menge enthält.

Alle Nahrungsmittel der Gewächse gehören dem Mineralreich an, die luftförmigen werden von den Blättern, die feuerbeständigen von den Wurzeln aufgenommen; die ersteren sind häufig Bestandtheile des Bodens, und verhalten sich dann zu den Wurzelfasern ähnlich wie zu den Blättern, d. h. sie können auch durch die Wurzeln in die Pflanzen gelangen. Die luftförmigen sind ihrer Natur nach beweglich, die feuerbeständigen sind unbeweglich, und können den Ort, wo sie sich befinden, nicht von selbst verlassen.

Ein Nahrungsstoff ist wirkungslos, wenn ein einziger der andern Nahrungsstoffe fehlt, welche Bedingungen seiner Wirksamkeit sind.

Die Futtergewächse und die Kornpflanzen bedürfen zu ihrer Entwickelung die nämlichen Bodenbestandtheile, aber in sehr ungleichen Verhältnissen. Das Gedeihen einer Futterpflanze auf einem Felde beweist, dass sie in der Luft und im Boden ein für ihre Ernährung entsprechendes Verhältniss von atmosphärischen Nahrungsstoffen und Bodenbestandtheilen vorgefunden hat. Das Nichtgedeihen der Kornpflanze auf demselben Felde weist darauf hin, dass für sie im Boden etwas gefehlt hat. In allen Fällen des Nichtgedeihens einer Culturpflanze muss hiernach der nächste Grund im Boden, und nicht in einem Mangel an atmosphärischen Nahrungsstoffen gesucht werden, denn die Quelle, welche dem Futtergewächs diese Elemente geliefert hat, stand auch der Kornpflanze offen.

Wie wirkt nun der Boden, und in welcher Weise nehmen seine Bestandtheile Theil an der Vegetation?

Wir wollen diese Frage jetzt einer näheren Untersuchung unterziehen.

Der Ernährungsprocess ist ein Aneignungsprocess der Nahrung; eine Pflanze wächst, indem sie an Masse zunimmt, und ihre Masse vermehrt sich, indem die Bestandtheile der Nahrung zu Bestandtheilen des Pflanzenkörpers werden. Aus der Kohlensäure entsteht z. B. der Zucker, die Kieselsäure wird zu einem Bestandtheil des Stengels, das Kali ist im Saft, die Phosphorsäure, Kali, Kalk, Bittererde werden zu Bestandtheilen des Samens.

In der Wirkung eines Nahrungsstoffes hat man zu unterscheiden die Raschheit, oder Schnelligkeit, von der Dauer seiner Wirkung.

Im Allgemeinen hängt die Wirkung ab von der Summe der vorhandenen wirkenden Theile, entsprechend der Menge, welche überhaupt von der Pflanze in einer Vegetationsperiode aufnehmbar ist, und aufgenommen wird; ein Mangel vermindert die Ernte, aber ein Ueberschuss erhöht sie nicht über eine gewisse Grenze hinaus. Der Ueberschuss wirkt in der nächsten Vegetationsperiode; die Dauer der Ernten richtet sich nach dem Rest, der nach jeder Vegetationsperiode im Boden bleibt; ist der Rest zehnmal grösser als eine volle Ernte bedarf, so reicht er aus für zehn volle Ernten in zehn Jahren.

Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_348.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)