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Kleber eine viel weiter gehende Veränderung erlitten hat, und die Erfahrungen in der Branntweinbrennerei aus Kartoffeln beweisen hinlänglich, dass die plastischen Bestandtheile der Kartoffeln und die des zugesetzten Malzes, nachdem sie den vollständigen Verlauf des Zuckerbildungs- und Gährungsprocesses mitgemacht haben, an ihrem Ernährungswerthe kaum verloren haben. Von einem Verlust an Kleber kann hiernach in der Brodbereitung nicht die Rede sein. In der Brodbereitung wird nur eine sehr kleine Menge Stärkmehl für den Zweck der Zuckerbildung verbraucht, und es ist das Gährungsverfahren nicht blos das einfachste und beste, sondern auch das ökonomischste unter allen Mitteln, die man empfohlen hat, um das Brod porös zu machen. Chemische Präparate sollten von Chemikern überhaupt nicht zu Küchenzwecken vorgeschlagen werden, da sie im gewöhnlichen Handel beinahe niemals rein vorkommen. So ist z. B. die käufliche rohe Salzsäure, die man mit doppeltkohlensaurem Natron dem Brodteige zuzumischen empfohlen hat, immer höchst unrein, sehr häufig arsenikhaltig, so dass sie der Chemiker zu seinen weit minder wichtigen Arbeiten niemals ohne weitläufige Processe der Reinigung anwendet.

Die Vorschläge, welche man in Zeiten des Mangels und der Hungersnoth bis jetzt gemacht hat, um das Mehl im Brode zu ersetzen und das Brod wohlfeiler zu machen, beweisen, wie weit man noch von einer vernünftigen, auf wissenschaftliche Grundsätze gebauten Diätetik entfernt ist, und wie unbekannt die Gesetze der Ernährung sind. Mit dem Preis der Nahrungsmittel verhält es sich ähnlich, wie mit dem des Brennmaterials. Wenn man sich die Mühe giebt, den Preis der verschiedenen Steinkohlensorten, oder der Brennhölzer, Braunkohlen und des Torfes mit einander zu vergleichen, so wird man finden, dass die Anzahl der Kreuzer, die man für ein gegebenes Gewicht oder Maass von diesen Brennstoffen bezahlt, so nahe wie möglich im Verhältniss zu ihrem Brennwerthe, d. h. zu der Zahl der Wärmegrade steht, die sie in der Verbrennung entwickeln; an einem Orte, wo man Buchenholz, Eichenholz und Tannenholz brennt, ist es dem Preise und dem Brennwerthe nach ganz gleichgültig, welches Holz gewählt wird: der Vortheil in der Wahl liegt in dem Zweck; für grosse, weite oder lange Feuerräume ist Tannenholz vortheilhafter, dessen Flamme den weitesten Raum ausfüllt; für kleine, enge Feuerräume giebt man der Kohlen wegen dem Buchenholz den Vorzug. In der Schätzung solcher Werthe irrt sich ein Einzelner leicht, aber die tägliche Erfahrung von vielen Tausenden gleicht die Irrthümer aus.

Der Mittelpreis der Nahrungsmittel in einem grösseren Lande ist in der Regel das Maass ihres Ernährungswerthes; die Abweichung des Preises an verschiedenen Orten rührt von localen Ursachen (Schwierigkeit oder Leichtigkeit des Transportes, guten oder schlechten Wegen, Canälen, Flüssen etc.) her. Für die Zwecke der Ernährung ist der Roggen nicht wohlfeiler als Weizen; Reis und Kartoffeln sind nicht wohlfeiler als Korn; Weizenmehl kann in Qualität mit Vortheil durch keine andere Mehlsorte ersetzt werden; nur in Zeiten des Mangels oder der Hungersnoth ändern sich diese Verhältnisse in etwas; es gewinnen alsdann Kartoffeln und Reis einen höheren Preis, weil zu ihrem

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_301.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)