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Hauptbestandtheile (Fleischfibrin und Albumin) konnten aus Mangel an den nöthigen Vermittlern nicht zu Bestandtheilen des Blutes werden, und indem das Fleisch in ein (sehr unvollkommenes) Respirationsmittel überging, verlor es an seiner ernährenden Kraft; sein Blutbildungswerth nahm ab mit der Quantität der entzogenen Salze und um eben so viel vielleicht in Folge des durch die Theilung derselben herbeigeführten für die Blutbildung ungeeigneten Verhältnisses. Das ausgekochte Fleisch enthält in seiner Asche über 17 Procent Phosphorsäure mehr als zur Hervorbringung von Salzen von alkalischer Beschaffenheit, wie sie das Blut verlangt, erforderlich ist; durch eine Spaltung der Salze dieser Fleischasche in ein saures Salz, von dem wir uns denken können, dass es durch die Nieren abgesondert werde, und in ein Salz von alkalischer Beschaffenheit, welches zur Blutbildung verwendbar wäre, musste die wirksame Menge dieser Aschenbestandtheile noch verringert werden [1].

Man versteht jetzt den Grund der Abnahme des Ernährungswerthes des eingesalzenen Fleisches, so wie den Einfluss, den dessen ausschliesslicher Genuss auf die Beschaffenheit der Säfte und des Blutes ausübt.

Jede Hausfrau weiss, dass frisches Fleisch mit Kochsalz bestreut, ohne dass ein Tropfen Wasser zugesetzt wird, nach einigen Tagen in einer Salzlake schwimmt; dass das Gewicht des Fleisches in Salzwasser gelegt beträchtlich ab- und das des Wassers zunimmt. Das frische Fleisch enthält nämlich über ¾ von seinem Gewicht an Wasser, welches darin wie in einem Schwamme aufgesaugt enthalten ist; das Vermögen des Fleisches, salzhaltiges Wasser aufzusaugen und zurückzuhalten, ist weit geringer; unter gleichen Verhältnissen nimmt es nur halb so viel gesättigtes Salzwasser als reines Wasser in seine Poren auf. Daher kommt es denn, dass das frische Fleisch in Berührung mit Kochsalz, indem das Wasser desselben zu Salzwasser wird, Wasser ausfliessen lässt; aber dieses austretende Wasser, das wir in der Salzlake haben, ist nicht reines Wasser, sondern es ist Fleischsaft, es ist Fleischbrühe mit allen ihren wirksamen organischen und unorganischen Bestandtheilen; das Fleisch verliert durch das Einsalzen in Folge der Entziehung und Theilung der darin vorhandenen zur Blutbildung nöthigen Salze gerade wie durch Auskochen an seinem Ernährungswerth. Von drei Centnern Fleisch kann durch die vollständige Wirkung des Salzes ein Centner für den Lebensprocess unwirksam und in ein schädliches Respirationsmittel

  1. Ein Nahrungsmittel, welches wie das Eigelb des Hühnereies in seiner Asche Kali und Phosphorsäure im Verhältniss wie die sauren Salze dieser Säure (PO5MO) enthält, kann, indem eine solche Spaltung nicht mehr möglich ist, für sich keinen Blutbildungswerth besitzen. Magendie berichtet in seinen Versuchen: „Da wir viel Eidotter zu unserer Verfügung hatten, so wollten wir uns versichern, ob die Hunde sich damit ernähren liessen. Zu diesem Zwecke gaben wir 12 bis 15 hartgekochte Eidotter gesunden jungen Hunden von vortrefflichem Appetit. Am ersten Tage wurden die Eidotter, wiewohl mit einigen Zeichen von Widerwillen, gefressen, den zweiten war dieser noch stärker und am vierten wurden sie von den Thieren nicht mehr berührt, obwohl sie im höchsten Grade hungrig waren.“ Das Eigelb macht 40, das Eiweiss 60 Procent des Hühnereies aus, das erstere enthält bis 1,5 Procent (siehe die Note S. 264), das andere nur 0,65 Procent an unverbrennlichen Bestandtheilen.
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_291.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)