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Das Blut ist der Boden, von dem aus sich alle Theile des lebendigen Leibes in allen Thieren auf einerlei Weise und von gleicher unveränderlicher Zusammensetzung entwickeln, aber es ist gleichzeitig die Quelle der thierischen Wärme, und seine Canäle sind die Wege, auf denen die für die vitalen Processe untauglichen und die im Lebensprocesse verbrauchten Stoffe (die Producte des Stoffwechsels) den Apparaten der Secretion zugeführt und wieder aus dem Körper entfernt werden.

Für diese Vorgänge muss das Blut alle nothwendigen Bedingungen enthalten: in den verbrennlichen Bestandtheilen den Stoff, welcher zum Träger der vitalen Thätigkeit werden oder zur Wärmeerzeugung dienen soll, in den unverbrennlichen die unentbehrlichen Vermittler von dessen Wirksamkeit. In dem Bildungsprocess sehen wir die Phosphorsäure (und neben ihr keine andere unverbrennliche Säure) eine unbestimmte Rolle übernehmen, der Process der Blutbildung, Wärmeerzeugung und Secretion stehen unter dem chemischen Einflusse eines vorherrschenden Alkali’s.

Aus der theilweisen Ersetzbarkeit der Phosphorsäure durch Kohlensäure und umgekehrt im Blute, ohne Aenderung von dessen Eigenschaften, erklärt es sich, dass durch den Wechsel von vegetabilischer und thierischer Nahrung im Leibe des Menschen keine in den gewöhnlichen Zuständen wahrnehmbare Veränderung der normalen Lebensprocesse herbeigeführt wird, obwohl dadurch in Beziehung auf seine unverbrennlichen Bestandtheile eine wesentliche Verschiedenheit in der Zusammensetzung des Blutes bedingt wird.

Mit der grössten Leichtigkeit und Sicherheit lässt sich jetzt aus der bekannten Zusammensetzung der Aschenbestandtheile der Nahrung die Natur des Blutes vorherbestimmen, da man weiss, dass die des Blutes von der Nahrung stammen, und beide identisch sind.

Besteht die Nahrung aus Brod oder Fleisch, welche nur phosphorsaure, keine kohlensauren Salze in ihrer Asche hinterlassen, so enthält das Blut nur phosphorsaure Salze; setzen wir der Brod- oder Fleischnahrung Kartoffeln oder grüne Gemüse hinzu, so empfängt das Blut damit einen Gehalt an kohlensauren Alkalien; ersetzen wir das Brod oder Fleisch ganz durch Früchte, Wurzeln oder grüne Gemüse, so nimmt das Blut des Menschen die Beschaffenheit und Zusammensetzung des Ochsen- oder Schafblutes an.

Wenn auch der Austausch der Kohlensäure und Phosphorsäure im Blute beim Wechsel der vegetabilischen und animalischen Nahrung auf die Processe der Blutbildung, Ernährung und Wärmeerzeugung ohne bemerklichen Einfluss zu sein scheint, so wird durch diesen Wechsel der Secretionsprocess dennoch sehr wesentlich der Form nach geändert.

Es ist einleuchtend, dass im normalen Gesundheitszustand, in welchem sich das Körpergewicht des Menschen und Thieres nicht ändert, die in den Speisen und im Futter genossenen Alkalien, alkalischen Erden, Phosphorsäure und Eisenoxyd sich im Körper nicht anhäufen, sondern täglich in eben der Menge wieder austreten, in welcher sie in der Nahrung genossen wurden.

Wir wissen mit der grössten Bestimmtheit, dass diese Ausscheidung durch zwei Secretionsorgane, durch die Nieren und den Darmcanal vermittelt wird.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_267.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)