Seite:De Chemische Briefe Justus von Liebig 258.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


und Wasser zu verwandeln, so würden diese Elemente wieder ausgetreten sein; kein Theil derselben hätte sich in der Form von Fett in dem Körper anhäufen können.

Die Bekanntschaft mit den Erscheinungen der Gährung verstattet uns einen Blick in die Vorgänge, durch welche im Leibe der Thiere der sauerstoffreiche Zucker in das sauerstoffarme Fett übergeführt wird.

Die Gährung ist stets in ihrem Resultate eine Spaltung eines zusammengesetzten Atoms in eine sauerstoffreiche und in eine sauerstoffarme Verbindung; indem sich in der Alkoholgährung eine gewisse Quantität von Sauerstoff von den Elementen des Zuckers in der Form von Kohlensäure trennt, erhalten wir den brennbaren, leicht entzündlichen, sauerstoffarmen Alkohol; durch Austreten von Kohlensäure und einer gewissen Menge Wasser erhalten wir aus denselben Zuckerarten das Fuselöl, welches in seinen physikalischen Eigenschaften den Fetten noch weit näher steht; wenn die Abscheidung der Kohlensäure von dem Zucker begleitet ist von der Trennung einer gewissen Menge Wasserstoff, so erhalten wir die Buttersäure, eine wahre fette Säure.

Ganz gleiche Bedingungen setzt die Entstehung des Fettes in dem thierischen Organismus voraus; wir betrachten die Fettbildung als die Folge zweier Processe, welche gleichzeitig nebeneinander vor sich gehen; der eine ist ein unvollkommener Oxydations- (Verwesungs-) Process, durch welchen eine gewisse Menge Wasserstoff, der andere ist ein Spaltungs- (Gährungs-) Process, durch welchen eine gewisse Menge Sauerstoff in der Form von Kohlensäure sich von den Elementen des Zuckers trennt. (S. d. Thierchemie S. 102.)

Die Meinung, dass diese Umwandlung vermittelt werde durch ein Ferment in der Leber, welches gegen den Zucker in der Fettbildung sich ähnlich verhält wie der Speichel gegen das Stärkmehl oder wie die Magenschleimhaut in der Verdauung, dass also die Leber der Sitz dieses Processes sei, ist nicht unwahrscheinlich, sie bedarf aber einer näheren Begründung[1].

Alle Nahrungsstoffe der Thiere und Menschen enthalten stets und unter allen Umständen eine gewisse Quantität von fetten, oder den Fetten in ihrem Verhalten ähnlichen Substanzen; das Fleisch der wilden Thiere ist in der Regel fettlos.

In allen denjenigen Fällen, in welchen das Körpergewicht und der Fettgehalt des Körpers unverändert bleibt, kann deshalb vorausgesetzt werden, dass Fett, Zucker, Stärkmehl ausschliesslich für die Respiration und die letzteren nicht zur Fettbildung verwendet werden. Die Bildung

  1. Wenn man eine frische Kalbsleber in Stücke schneidet und mit Wasser bedeckt einer Temperatur von 37 bis 40° C. aussetzt, so stellt sich nach vier bis fünf Stunden ein merkwürdiger Gährungsprocess ein; die Leber bedeckt sich mit einer Menge Blasen eines Gases, welches zum grossen Theil aus Wassergas besteht; beim in die Höhe steigen lässt sich jede einzelne Blase an der Oberfläche entzünden. In einem offenen Gefässe bemerkt man in den ersten Stunden der Gährung keinen fauligen Geruch. Es ist hiernach offenbar, dass die Leber eine Substanz enthält, welche in einem gewissen Zustande der Zersetzung in ein Ferment übergeht, kräftig genug um Wasser zu zersetzen, dessen Sauerstoff in Beschlag genommen wird.
Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_258.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)