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Fett, und es zeigt der Unterschied in den beiden Kartoffelsorten, wie gross die Abweichungen der verschiedenen Spielarten derselben Pflanze sind. Man kann diese Zahlen aber als Mittelzahlen betrachten, welche zwischen den äussersten Grenzen liegen. Als constant kann man annehmen, dass die Erbsen, Bohnen, Linsen auf 1 Gewichtstheil plastischen Stoff zwischen 2 bis 3 Gewichtstheile stickstofffreie Substanzen, die Getreidearten der Weizen, Roggen, die Gerste, der Hafer zwischen 5 bis 6, die Kartoffeln zwischen 8 und 11, der Reis und das Buchweizenmehl 12 bis 13 Gewichtstheile an den letzteren Bestandtheilen enthalten; unter allen Nahrungsmitteln ist das magere Fleisch der Thiere verhältnissmässig am reichsten an plastischen Bestandtheilen. Von den anderen nicht organischen Bestandtheilen abgesehen, enthalten im getrockneten Zustande z. B. 17 Theile Ochsenfleisch eben so viel plastische Bestandtheile wie 56 Gewichtstheile Weizenmehl oder wie 67 Roggenmehl, oder 96 Kartoffeln oder 133 Reis.

Bei der Vergleichung dieser Nahrungsmittel hat man zu berücksichtigen, dass sie im natürlichen Zustande eine gewisse Menge Wasser enthalten, welches mit in Rechnung gebracht werden muss; 17 Gewichtstheile trockenes Ochsenfleisch, wobei 7,08 Fett, enthalten im natürlichen Zustande 32 Gewichtstheile Wasser; mit diesem Wassergehalt entsprechen 49 Gewichtstheile frisches Fleisch 66 Theilen Weizenmehl (von 15 Procent Wassergehalt).

Es ist einleuchtend, dass wir durch Mischung dieser Nahrungsmittel eine der Milch oder dem Weizenbrode ähnliche Zusammensetzung hervorbringen können; durch Zusatz von Speck oder fettem Schweinefleisch zu Erbsen, Linsen oder Bohnen, oder von Kartoffeln zum Ochsenfleisch, von fettem Schinken zum Kalbfleisch, von Reis zum Hammelfleisch vergrössern wir ihren Gehalt an stickstofffreien Materien. Ganz dasselbe geschieht durch geistige Getränke, welche mit magerem Fleisch und wenig Brod genossen eine der Milch, mit fettem Fleisch eine dem Reis oder den Kartoffeln in Beziehung auf das Verhältniss stickstofffreier und plastischer Bestandtheile ähnliche Mischung geben.

Es bedarf kaum mehr als einer Hindeutung auf diese Verhältnisse, um sogleich zu der Ueberzeugung zu gelangen, dass der Mensch in der Wahl seiner Speise (wenn ihm seine Verhältnisse eine Wahl gestatten) und ihrer Mischung von einem untrüglichen Instincte geleitet wird, welcher auf einem Naturgesetze beruht.

Dieses Naturgesetz schreibt dem Menschen wie dem Thiere feste, aber nach seiner Lebensweise und seinem körperlichen Zustande wechselnde Verhältnisse von plastischen und stickstofffreien Bestandtheilen in seiner Nahrung vor, welche dem Instinctgesetz und der Natur entgegen durch Zwang und Noth geändert werden können; aber dies kann nicht geschehen, ohne die Gesundheit, die körperlichen und geistigen Thätigkeiten des Menschen zu gefährden.

Die Wissenschaft hat den erhabenen Beruf, dieses Naturgesetz zum Bewusstsein zu bringen, sie soll zeigen, warum der Mensch und das Thier für seine Lebensfunctionen eine solche Mischung in den Bestandtheilen seiner Nahrung bedarf und welches die Einflüsse sind, welche eine Aenderung in dieser Mischung naturgesetzlich bestimmen.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_248.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)