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zu einander stehen, wie frisches Eiweiss oder Blutalbumin zu dem durch Hitze geronnenen: seiner Zusammensetzung nach ist Fleischfibrin nichts weiter als festgewordenes geformtes Blutalbumin. Der Unterschied, wenn überhaupt einer vorhanden ist, ist so gering, dass zwei Analysen von Blutalbumin nicht mehr von einander abweichen, als wie eine Analyse der Substanz der Fleischfaser von einer Analyse von Blutalbumin abweicht.[1] Das Blut als Ganzes betrachtet besitzt die nämliche Zusammensetzung wie das Fleisch.

In dem Fleisch ist demnach eine der Hauptbedingungen für die Blutbildung in der Fleischfaser vorhanden; durch den Verdauungsprocess wird die Fleischfaser, ähnlich wie gekochtes Eiweiss, flüssig und überführbar in das Blut, und es erschiene beinahe pedantisch, im Angesicht unserer Erfahrungen über den Ernährungsprocess der fleischfressenden Thiere Beweise zu verlangen, dass die verdaute Fleischfaser rückwärts im lebendigen Leibe wieder alle Eigenthümlichkeiten des Blutalbumins gewinnt. Der Beweis könnte übrigens leicht geführt werden, indem die Fleischfaser auch ausserhalb des Körpers durch einen Process, dessen letzte Ursache wir für identisch halten mit der, welche die Verflüssigung der Speisen im Magen bewirkt, in Albumin übergeführt werden kann. Wenn man nämlich Fleischfibrin mit Wasser bedeckt dem Einfluss der Luft überlässt, so geht ein sehr kleiner Theil desselben in Zersetzung über, und durch die Wirkung desselben wird der ganze übrige Theil flüssig und löslich im Wasser, und diese Lösung verhält sich ganz wie Blutserum; sie gerinnt beim Erhitzen zu einer festen weichen Masse, welche identisch in allen Eigenschaften mit dem Blutalbumin ist.

Untersuchen wir die Milch, das wichtige Nahrungsmittel, welches in dem Leibe der Mutter zubereitet, von der Natur dem Körper des jugendlichen Thieres für seine Entwickelung geliefert wird, so finden wir darin in dem Casein einen Stoff, welcher gleich dem Albumin Schwefel und Stickstoff enthält, und die Anwesenheit eines jeden anderen stickstoffhaltigen Körpers in der Milch macht es vollkommen gewiss, dass sich aus diesem allein der Hauptbestandtheil des Blutes des Säuglings, seine Muskelfaser, Membranen, Zellen in der ersten Periode seines Lebens erzeugen.

Das Casein ist seinen Eigenschaften nach verschieden von dem Albumin und Fleischfibrin; es ist in der Milch in flüssigem gelöstem Zustande durch ein Alkali gehalten und kann in derselben zum Sieden erhitzt werden, ohne wie das Albumin zu gerinnen; verdünnte Säuren, welche das Albumin fällen, scheiden hingegen mit Leichtigkeit das Casein aus der Milch ab; sie gerinnt in der Kälte schon durch verdünnte Essigsäure, indem sich das Casein in Gestalt einer dicken Gallerte oder von dicken Flocken abscheidet, welche auch nach dem Kochen mit Wasser ausnehmend leicht in schwach alkalischen Flüssigkeiten sich wieder auflösen, eine Eigenschaft, wodurch es sich von gekochtem Albumin und dem Fleischfibrin sehr wesentlich unterscheidet.

Die chemische Analyse des Caseins hat bewiesen, dass auch dieser Stoff, bis auf einen kleineren Schwefelgehalt, sehr nahe die nämlichen Elemente in demselben Verhältnisse enthält, wie das Albumin oder Fleischfibrin,

  1. Annal. d. Ch. u. Ph. Bd. 73. p. 126.
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_239.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)