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rechten Vorkammer und den Venen in dieselbe einströmende Blut durch die sogenannten Lungenarterien in die Lunge getrieben und kehrt aus der Lunge durch die Stämme der sogenannten Lungenvenen in die linke Vor- und Herzkammer zurück, von wo aus es durch die Zusammenziehung der letzteren durch den grossen Pulsaderstamm, die Aorta, in die Verzweigungen des Arteriensystems des ganzen Körpers gepresst wird. Durch die Venen kehrt es als venöses Blut in die rechte Vor- und Herzkammer zurück, um diesen Kreislauf, so lange das Leben dauert, auf’s neue zu machen. Die Zusammenziehung der Herzkammern macht den Herzschlag und in den Arterienstämmen den Puls aus. Mit jedem Herzschlage bewegt sich von dem Herzen durch die Blutgefässe der Lunge beim erwachsenen Menschen, nach dem Inhalte der rechten Herzkammer berechnet, eine Blutmenge, welche von den Physiologen auf 5 bis 6 Unzen (Volkmann) geschätzt wird, und es fliesst demnach durch die Lunge in einer Minute (auf welche man im Mittel 72 Herzschläge rechnet) die erstaunlich grosse Menge von über 22 bis 27 Pfund Blut. Dies ist zweimal die ganze Menge Blut, welche der Körper eines Mannes enthält. (Bischoff.)

Während das Blut mit einer so grossen Geschwindigkeit durch die Blutgefässe der Lunge strömt, wechselt auf der anderen Seite durch die Athembewegungen unaufhörlich die Luft in den Luftzellen; in gesundem ruhigen Zustande kommen auf die Minute 15 bis 16, im Zustand mässiger Bewegung 20 Athemzüge; bei stärkerer Bewegung nimmt die Stärke und Tiefe so wie die Schnelligkeit der Athemzüge zu. Die Menge der ausgeathmeten Luft ist nach der Grösse des Individuums und der Geräumigkeit der Brusthöhle verschieden; man kann aber annehmen, dass ein erwachsener Mensch im Mittel ½ Litre (= 500 Cubikcentimeter = 32 hess. oder 30 bis 31 engl. Cubikzoll) Luft ausathmet, bei starken und tiefen Athemzügen können bis zu 60 Cubikzoll ein- und ausgeathmet werden.

Die menschlichen Lungen behalten beim gewöhnlichen Ausathmen sechs- bis achtmal so viel Luft in ihren Zellen zurück, als mit jedem Athemzuge umgewechselt wird. Die eintretende frische Luft mischt sich mit der Luft in den Luftzellen, bei jedem Ausathmen wird ein Theil dieser letzteren ausgetrieben und ihr Raum von frischer Luft eingenommen.

In dem unendlich feinen Gefässnetze der Lungen kommt demnach eine ungeheure Oberfläche von venösem Blute durch die Wände der Luftzellen in Berührung mit der eingeathmeten Luft; es erleidet unter diesen Umständen sogleich eine mächtige Veränderung, die dunkele, beinahe schwarzrothe Farbe des venösen Blutes verwandelt sich in die hochrothe des arteriellen Blutes, und an die neuen Eigenschaften, welche das Blut in diesem durch die Berührung mit der Luft vermittelten Farbwechsel gewinnt, ist die Fortdauer der Lebensfunctionen und des Lebens auf’s engste geknüpft.

Gleichzeitig mit diesem Farbwechsel erleidet die Luft eine wesentliche Aenderung in ihrer Zusammensetzung, die wir jetzt näher betrachten wollen.

Die Hauptbestandtheile der atmosphärischen Luft sind Sauerstoff, Stickgas, eine kleine Menge kohlensaures Gas und Ammoniakgas, und

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_227.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)