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Brandfälle wird dies nicht ermittelt, weil der es nicht sagt, der es aus Bosheit, und auch der nicht, der es aus Unvorsichtigkeit gethan hat. Wenn die Ursache des Brandes nicht ermittelbar ist, so wird dennoch Niemand glauben, das Feuer sei von selbst, ohne Zuthun eines Menschen entstanden, und wenn in einem solchen Zimmer sich eine verbrannte Katze befindet, so wird Niemand auf die Idee kommen, das Feuer sei durch die Selbstverbrennung der Katze ausgebrochen, und voraussetzen, weil die Katzenbälge durch Reiben mit der Hand zuweilen elektrische Funken geben, es gäbe eine Krankheit unter den Katzen, wodurch sie selbstverbrennlich werden. Und doch ist die Annahme einer solchen Krankheit nicht unwahrscheinlicher als bei den Menschen. Man kann hierauf einwenden, dass die Katzen keinen Branntwein trinken, aber die Anhänger der Selbstverbrennung nehmen ja an, dass häufig die Selbstentzündung bei Personen vorkomme, welche dem Branntweingenuss nicht ergeben sind.

Indem man bei der Ausmittelung der Ursache eines Brandes die nähere Untersuchung an die Personen knüpft, welche Zutritt zu dem Orte hatten, wo der Brand entstand, gelingt es zuweilen, den absichtlichen oder unabsichtlichen Thäter auszumitteln. Die gerichtliche Medicin darf, selbst wenn die Selbstverbrennungs-Theorie wahr wäre, was sie nicht ist, in ein so einfaches und durch die Erfahrung gerechtfertigtes Verfahren nicht eher eingreifen, als bis alle anderen wahrscheinlichen Ursachen der Entstehung des Feuers ausgeschlossen sind, und wenn sie dies dennoch thut, so schliesst sie ihre Berechtigung aus und nimmt Theil an der Schuld des Thäters, sie nimmt die That in Schutz, indem sie die Untersuchung auf Abwege lenkt. Der Arzt, der in solchen Fällen zu einem Urtheil aufgefordert ist, kann nach Pflicht und Gewissen nur sagen, in welchem Zustande er die Leiche fand, ob die Verletzung durch das Feuer, vor oder nach dem Tode, stattgefunden, ob der Tod eine Folge des Feuers allein war, oder aber vor der Einwirkung des Feuers durch andere Ursachen (durch äussere Wunden, Strangulation, Schlag auf den Kopf etc.) herbeigeführt worden ist. In keinem Falle ist es ihm gestattet, etwas, was er nicht gesehen, durch Fälle zu erklären, die er ebenfalls nicht gesehen hat, oder durch eine Theorie, die ihm unerklärlich ist.



Fünfundzwanzigster Brief.


Die Geschichte der Wissenschaften giebt uns die tröstliche Gewissheit, dass wir auf dem Wege des Versuches und der Beobachtung dahin gelangen werden, die Wunder des organischen Lebens zu entschleiern, dass wir im Stande sein werden, über alle Ursachen, welche Antheil an den Lebenserscheinungen nehmen, bestimmtere Aufschlüsse zu erhalten. Alle Eigenthümlichkeiten der Körper, alle ihre Eigenschaften sind durch das Zusammenwirken mehrerer Ursachen bedingt, und es ist die Aufgabe

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_207.jpg&oldid=- (Version vom 6.12.2022)