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wie viel Zeit verflossen war, wo die Verbrennung begann bis zu dem Augenblick, wo man den verbrannten Körper fand.

Die Beschreibungen der Todesfälle durch Selbstverbrennung, welche in das vorige Jahrhundert zurückreichen, sind nicht durch gebildete Aerzte verbürgt, sie gehen von ununterrichteten, in der Beobachtung nicht geübten Personen aus und tragen den Stempel der Unglaubwürdigkeit in sich selbst; in der Regel wird darin angegeben, dass der Körper bis auf einen Fettfleck im Zimmer und einige Knochenreste ganz verschwindet. Dass dies unmöglich ist weiss Jedermann, das kleinste Knochenstückchen wird im Feuer weiss und nimmt an Umfang etwas ab, aber es bleiben nach der Verbrennung 60 bis 64 Procent davon, gewöhnlich mit Beibehaltung der ursprünglichen Gestalt, zurück.

In äusserst wenigen Fällen (Dr. Franck, der eine der letzten Schriften über Selbstverbrennung publicirt hat, führt nur drei an) ist es unbekannt geblieben, ob Feuer von ausserhalb, ein Funke, ein brennendes Licht, eine glühende Kohle die Entzündung bewirkt habe.

Die ausgezeichnetsten und gelehrtesten Aerzte (Dupuytren, Breschet) und Professoren der gerichtlichen Medicin (Devergie) halten alle Fälle, bei denen angenommen wird, der Körper habe von selbst, ohne äussere Ursachen (ein Licht, eine glühende Kohle, ein Funke) angefangen zu brennen und habe fortgebrannt, für unglaubhaft, unerwiesen und unwahrscheinlich. Dr. Franck (Encyclop. W.-Buch, Berlin, 1843) scheidet von 45 Fällen, die er gesammelt hat, drei Fälle aus, bei denen er dies annimmt.

Eine nähere Betrachtung des wichtigsten unter diesen drei Fällen wird zeigen, was davon zu halten ist; er wird erzählt von Battaglia, einem Chirurgen in Ponto Bosio (ein Chirurg im Jahr 1787 in Italien ist etwa einem sogenannten Bader gleichzusetzen).

Ein Priester Namens Bertholi geht auf den Markt in Filetto um Geschäfte daselbst zu besorgen, er übernachtet bei einem seiner dort wohnenden Schwäger; in seinem Zimmer lässt er sich ein Sacktuch zwischen Schulter und Hemd legen und nachdem er allein war, begiebt er sich an das Lesen seines Gebetbuches. Einige Minuten darauf hört man ein ungewöhnliches Geräusch in dessen Zimmer, man hört ihn schreien und es finden ihn die herbeieilenden Leute ausgestreckt auf dem Boden liegen und umgeben von einer leichten Flamme, die sich mit der Annäherung der Leute entfernt und zuletzt verschwindet.

Es fand sich die äussere Haut des rechten Armes und der Fläche von den Schultern abwärts bis zu den Lenden von dem Fleische abgelöst. Die Schultern, welche von dem Sacktuch geschützt waren, waren nicht verletzt, das Sacktuch selbst zeigte keine Spur von Brand, an allen beschädigten Theilen war das Hemd verzehrt, und überall, wo die Kleidungsstücke nicht verbrannten, war auch unterhalb kein Brand zu bemerken, die Unterhosen so wie die Beine waren nicht vom Brande verletzt.

Dr. Marc (Dictionn. des Sc. médic. Tom. VI. S. 85) legt diesem Fall eine besondere Wichtigkeit bei und sagt, dass derselbe über die Ursache der Erscheinung der Selbstverbrennung überhaupt Licht verbreite und glaubt, dass diese in der Elektricität gesucht werden müsse.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_189.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)