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derjenigen Arten, die in ihrer Nahrung keine Stoffe geniessen, woraus sich Ameisensäure bilden könnte.

Die thierische Haut, die Schleimhaut des Magens und der Eingeweide, die Substanz der Harnblase haben eine Menge Eigenschaften mit dem Kleber und der Hefe gemein. In frischem Zustande haben diese Stoffe nicht die mindeste Wirkung auf Amylon oder Milchzucker, allein nur wenige Stunden im Wasser liegend, oder feucht der Luft ausgesetzt, gehen sie in einen Zustand der Zersetzung über, der sie fähig macht, das Amylon in Zucker, den Milchzucker in Milchsäure mit ausserordentlicher Schnelligkeit überzuführen.

Seit undenklichen Zeiten wird diese Eigenschaft der Schleimhaut des Magens junger Kälber benutzt, um die Milch in der Käsebereitung zum Gerinnen zu bringen, oder, was das Nämliche ist, die Scheidung des Käses von den übrigen Bestandtheilen der Milch zu bewirken.

Der Käse verdankt seine Löslichkeit in der Milch dem Vorhandensein von phosphorsaurem und freiem Alkali, dessen Gegenwart meist an dem Blauwerden von geröthetem Lackmuspapier in der frischen Milch leicht erkannt werden kann. Der Zusatz von einer jeden Säure, wodurch das Alkali hinweggenommen wird, macht, dass sich der Käse in seinem natürlichen, unlöslichen Zustande abscheidet. Diese für das Gerinnen der Milch unentbehrliche Säure wird in der Käsebereitung nicht zugesetzt, sondern in der süssen Milch auf Kosten des vorhandenen Milchzuckers erzeugt. Eine kleine Menge Wasser, welche mit einem Stückchen Labmagen einige Stunden oder über Nacht in Berührung gelassen war, nimmt eine kaum wägbare Menge der in Zersetzung übergegangenen Schleimhaut auf, und der Milch zugemischt, überträgt sich der Zustand derselben nicht dem Käse, sondern was hier das Wichtigste ist, dem Milchzucker, dessen Elemente sich in Milchsäure umsetzen, wodurch das Alkali neutralisirt und der Käse zum Abscheiden gebracht wird. Vermittelst Lackmuspapier lässt sich dieser Process in allen seinen Stadien verfolgen; mit dem beginnenden Gerinnen vermindert sich die alkalische Reaction der Milch, sie wird neutral; wird der Käse nicht sogleich von den Molken getrennt, so schreitet die Milchsäurebildung fort, die Flüssigkeit wird sauer und der Käse selbst geht in Zersetzung über.

Der frische, weisse, durch Auspressen und Salzzusatz von dem Wasser und Milchzucker sorgfältig befreite Käse ist ein Gemenge von Butter und Käsestoff; er enthält allen phosphorsauren Kalk und einen Theil des phosphorsauren Natrons der Milch; beim Aufbewahren in kühlen Räumen geht eine Reihe von Veränderungen in ihm vor, in deren Folge er ganz neue Eigenschaften gewinnt; er wird allmählich durchscheinend, durch seine ganze Masse hindurch mehr oder weniger weich, nimmt eine schwach saure Reaction und den eigenthümlichen Käsegeschmack und Käsegeruch an. Frisch ist er sehr wenig löslich in Wasser, aber zwei bis drei Jahre sich selbst überlassen, wird er von kaltem Wasser, namentlich wenn das vorhandene Fett vorher entfernt wird, beinahe völlig zu einer Flüssigkeit aufgenommen, die, wie die Milch, von Essigsäure und Mineralsäuren zum Gerinnen gebracht wird. Der unlösliche Käse kehrt beim sogenannten Reifen in einen ähnlichen Zustand, wie in der Milch, zurück. In den beinahe geruchlosen englischen,

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_142.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)