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In dem Conservatoire des arts et métiers in Paris hat man schon vor langer Zeit eine interessante Anwendung hiervon gemacht. In diesem Gebäude, welches ein ehemaliges Kloster war, dient das Schiff der Klosterkirche, um eine Sammlung von Gegenständen der Industrie, Maschinen und Werkzeugen aufzustellen. Das Gewölbe dieser Kirche bekam der Länge nach einen Sprung, der sich jährlich vergrösserte, so dass er mehrere Zoll auseinander stand und Regen und Schnee hinein fiel. Durch Zumauern konnte die Oeffnung wohl verschlossen, aber das Weichen der Seitenmauern nicht verhindert werden. Man war nahe daran das ganze Gebäude niederzureissen, als ein Physiker folgenden Vorschlag machte, durch den es erhalten wurde: es wurden eine Anzahl starke Eisenstangen quer durch das Schiff der Kirche gezogen; das eine Ende derselben wurde in der einen Seitenwand befestigt, das andere Ende ging durch die gegenüberstehende Wand mehrere Zoll nach aussen und war mit einem Schraubengewinde versehen, in welches eine grosse Schraubenmutter genau passte.

Die Schraubenmutter wurde auf die äussere Wand fest aufgeschraubt, und nachdem dies geschehen, wurden die Stangen gleichzeitig mit brennendem Stroh erwärmt. Die Folge davon war, dass sich die Stange ausdehnte und verlängerte und dass jetzt die Schraube, welche vor dem Erhitzen auf der Mauer fest sass, nachdem die Stange heiss geworden war, einige Zolle davon abstand. Man schraubte jetzt die Schraube wieder fest auf die Mauer an und liess die Stangen erkalten; beim Erkalten zogen sie sich mit ungeheuerer Kraft zusammen und mit ihnen näherten sich die Seitenmauern; nach einer zweimaligen Wiederholung war der Sprung verschwunden. Das Gebäude mit den Stangen, die es zusammenhalten, steht noch.

In gleicher Weise wie die mechanische Wirkung der Wärme lässt sich die Arbeitskraft einer Maschine, welche durch den elektrischen Strom in Bewegung gesetzt wird, in Gewichten ausdrücken, die auf eine gewisse Höhe damit gehoben werden. Wir erzeugen einen elektrischen Strom durch einen rotirenden Magneten oder, wie in der galvanischen Säule, durch Auflösung von Zink. Gegen Metalldrähte verhält sich dieser Strom je nach ihrer Dicke wie ein weites oder enges Rohr gegen eine Flüssigkeit. Es gehört mehr Zeit oder ein stärkerer Druck dazu, um dieselbe Flüssigkeitsmenge durch eine enge Röhre durchfliessen zu machen, als durch eine weite. In ähnlicher Weise setzt ein dünner Draht dem Durchgang der strömenden Elektricität einen stärkeren Widerstand entgegen als ein dicker. In Folge dieses Widerstandes, oder wenn man will einer Stauung, wird die Bewegung der strömenden Elektricität aufgehalten und vernichtet, nur ein Theil derselben geht durch den Stromleiter hindurch, der andere, der nicht hindurch kann, verwandelt sich in Wärme; der Draht, welcher den Strom leidet, wird heiss oder glühend und es ist, je nach der Menge der in Wärme umgesetzten Elektricität, die Temperatur so hoch, dass ein langer Platindraht geschmolzen, dass ein Golddraht geschmolzen und verflüchtigt wird. Durch einen dünnen Platindraht, den man in Form einer Spirale um eine Glasröhre windet und mit Wasser umgiebt, kann man, wenn der Strom hindurch geht und nicht allzuschwach ist, eine beträchtliche Menge Wasser sehr bald in wallendes Sieden versetzen.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_107.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)