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Das Geld macht heutzutage nicht mehr den Reichthum eines Staates aus, und wenn wir in der Rheinebene eben so reiche Diamantenlager hätten, wie zu Golkonda, Visapur oder wie in Brasilien, so würden sie schwerlich der Bearbeitung werth sein, weil die Bruttokosten ihrer Gewinnung, die an den genannten Orten sich für den Karat auf 17 bis 18 Gulden durchschnittlich belaufen, drei- bis viermal so viel bei uns betragen würden. Für diesen Preis würde aber Niemand Diamanten haben wollen. Zu Zeiten, wo der Taglohn niedrig ist, beschäftigen sich im Badischen eine gewisse Anzahl Personen mit Goldwaschen aus dem Rheinsande, dessen Goldgehalt etwa 10 mal kleiner als der des goldführenden Sandes in Sibirien, und 37 mal kleiner als der des Sandes in Chili ist (Daubrée) [1]. So wie der Taglohn steigt, hört diese Erwerbsquelle auf Vortheile darzubieten, und sie versiecht von selbst. So gewährt die Rübenzuckerfabrikation Vortheile, die sie sehr bald nicht mehr darbieten wird, und anstatt sie durch beträchtliche Opfer zu erhalten, ist es nationalökonomisch weit vernünftiger, andere werthvollere Producte zu bauen und dafür Zucker einzutauschen. Nicht bloss der Staat, sondern wir Alle gewinnen dabei. In Frankreich und Böhmen sind die Verhältnisse in den Preisen des Zuckers und Brennmaterials ganz anders als bei uns. Es lassen sich zwischen diesen Ländern und Deutschland keine Vergleiche anstellen.

Auf einem eben so unfruchtbaren Boden steht bei uns die Fabrikation des Leuchtgases aus Harz und Oelen. Der Preis der Materialien, die zur Beleuchtung dienen, steht in England in geradem Verhältnis zu den Getreidepreisen; Talg und Oel sind nur andere Formen für Viehfutter und Grundrente. In England ist Talg und Oel um’s Doppelte theurer, Eisen und Steinkohlen sind um zwei Drittel wohlfeiler als bei uns, und selbst in diesem Lande bietet die Gasfabrikation nur dann Vortheile dar, wenn sich die abdestillirten Kohlen (die Kohks) verwerten lassen.

Man würde es sicher als eine der grössten Entdeckungen unseres Jahrhunderts betrachten, wenn es Jemandem gelungen wäre, das Steinkohlengas in einen weissen, festen, trockenen, geruchlosen Körper zu verdichten, den man auf Leuchter stecken, von einem Platz zum anderen tragen, oder in ein flüssiges, farb- und geruchloses Oel, das man in Lampen brennen könnte. Wachs, Talg und Oel sind aber brennbare Gase im Zustande von festen Körpern oder Flüssigkeiten, die uns gerade eine Menge Vortheile bieten, welche das Gaslicht nicht besitzt; in wohlconstruirten

  1. Aus 320,000 Pfund Sand erhält man einen Ducaten.
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_101.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)