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ergab die Analyse 27 Procent Thonerde, von welcher in dem gelben von Altenau keine Spur aufzufinden ist. – Welche Bestandtheile gehören denn zu dem Granat? wie ist er eigentlich zusammengesetzt? – Alles dies hat sich sehr einfach entwirrt; wo die Thonerde fehlte, fand sich das isomorphe Eisenoxyd, wo die Bittererde fehlte, fand sich der isomorphe Kalk; es zeigte sich, dass der Granat wechselnde Mengen isomorpher Oxyde, von Eisenoxyd und Thonerde oder Kalk, Manganoxydul, Eisenoxydul enthält, die einander ohne Aenderung der Form der Verbindung zu vertreten vermögen.

Genauere Messungen der Krystalle haben später dargethan, dass die ähnlichen Verbindungen isomorpher Substanzen nicht immer ganz vollkommen die nämliche Form zeigen, dass also die Winkel, welche die Flächen mit einander bilden, nicht immer ganz identisch sind, und es ist sicher die schönste Begründung unserer Ansichten über die Existenz der Atome gewesen, dass diese Abweichungen durch Betrachtungen erklärbar wurden, die sich an die atomistische Theorie knüpfen liessen.

Versinnlichen wir uns in der That einen Krystall, entstanden durch Nebeneinanderlagerung von Atomen, von denen jedes eine gewisse Gestalt besitzt, und die Gestalt des ganzen Krystalls als abhängig von der Form seiner kleinsten Theile, so wird das Thonerde-Atom in dem Alaunatom einen gewissen Raum ausfüllen. Wenn wir das Thonerde-Atom in diesem Krystall herausnehmen und an seine Stelle ein Eisenoxydatom bringen, so wird der Alaunkrystall seine geometrische Gestalt behalten, wenn das Eisenoxydatom die nämliche Form hat wie das Thonerde-Atom; aber nur dann, wenn es auch eben so gross ist, wenn sein Volumen gleich ist dem Volumen des Thonerde-Atomes, wird die Form des Alaunkrystalls absolut dieselbe bleiben; füllt aber im Allgemeinen das isomorphe Oxyd den Raum des zu vertretenden nicht vollkommen aus, ist sein Volumen kleiner oder grösser, so muss sich dies in der gegenseitigen Neigung der Kanten des Krystalls zu seiner Axe zu erkennen geben.

Auf eine sehr sinnreiche Weise ist man dazu gelangt, den Raum, den die Atome zweier sich vertretenden isomorphen Substanzen in einer Verbindung einnehmen, zu vergleichen.

Jedermann weiss, dass die festen, flüssigen und luftförmigen Körper bei gleichem Rauminhalt ein sehr ungleiches Gewicht besitzen. Ganz unwillkürlich vergleichen wir ja den Raum, den ein Stück Holz einnimmt, mit dem, welcher von einem gleich schweren Stück Blei eingenommen wird, indem wir sagen, dass das Holz leichter sei als Blei. Ein Pfund Holz wiegt ja genau so viel wie ein Pfund Blei, allein ein Cubikzoll Blei wiegt über elfmal mehr als ein Cubikzoll Holz.

Die Verschiedenheit des Gewichts, das die Körper bei gleichem Rauminhalt besitzen, ist von den Naturforschern mit grosser Genauigkeit ermittelt und in Zahlen ausgedrückt worden; es sind dies die bekannten specifischen Gewichtszahlen.

Aehnlich wie die Gewichte zweier Körper vergleichbar werden, indem man ausmittelt, wie viel mal eine bekannte Gewichtseinheit, ein Pfundgewicht z. B., in der Masse eines jeden von beiden enthalten ist, ohne alle Rücksicht auf den Raum, den sie einnehmen, bedient man sich nach einer Uebereinkunft zur Ermittelung der specifischen Gewichte

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_073.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)