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dies kann ermittelt werden. Ich brauche zur Vertretung von 8 Gewichtstheilen Sauerstoff 16 Schwefel, oder doppelt so viel als das Gewicht des Sauerstoffs beträgt, weil das Schwefelatom doppelt so schwer ist, wie das Sauerstoffatom; ich habe nur ein Achtel von dem Gewicht des Sauerstoffs an Wasserstoff nöthig, weil das Wasserstoffatom achtmal leichter ist. So ist das Kohlenoxyd eine Gruppe von 2 Atomen, die Kohlensäure eine Gruppe von 3 Atomen; das erste enthält auf 1 Atom Kohlenstoff 1 Atom, die Kohlensäure 2 Atome Sauerstoff.

Die Unveränderlichkeit der festen Gewichtsverhältnisse, in denen sich die Körper verbinden, erklärt die Theorie aus der Existenz untheilbarer Theilchen, welche ungleich schwer sind, und in der chemischen Verbindung sich nicht durchdringen, sondern neben einander lagern.

In ihrer eigentlichen Bedeutung drücken die Aequivalentenzahlen gleiche Wirkungswerthe aus, nämlich die Gewichte der Körper, in welchen sie in der chemischen Verbindung gleiche Wirkungen hervorbringen, und diese Wirkungen versinnlichen wir uns, indem wir sie untheilbaren Theilchen zuschreiben, die einen gewissen Raum einnehmen und eine bestimmte Gestalt besitzen. Wir haben kein Mittel, um uns Gewissheit über die wahre Anzahl der Atome selbst in der einfachsten Verbindung zu verschaffen; denn um dies zu können, müssten wir im Stande sein, sie zu sehen und zu zählen; eben deshalb ist bei aller Ueberzeugung, die wir über die Existenz physischer Atome haben, die Annahme, dass die Aequivalentenzahlen wirklich das relative Gewicht der einzelnen Atome ausdrücken, nur eine Hypothese, für die wir keine weiteren Beweise haben.

Ein Zinnoberatom enthält auf 100 Quecksilber 16 Schwefel; die Chemiker nehmen an, dass diese Verhältnisse das relative Gewicht von einem Atom Quecksilber und einem Atom Schwefel ausdrücken. Dies ist eine blosse Hypothese: es könnte ja sein, dass 100 Quecksilber das Gewicht von 2 oder 3, 4 oder mehr Atomen Quecksilber repräsentiren. Wären es 2 Atome, so würde 1 Atom Quecksilber durch die Zahl 50, wären es 3, so würde es durch die Zahl 33,3 repräsentirt werden müssen. Der Zinnober würde in dem einen Falle – so würden wir sagen – aus 2 (aus zweimal 50), in dem anderen aus 3 Atomen (dreimal 33,3) Quecksilber und 1 Atom Schwefel bestehen.

Was man in dieser Hinsicht auch annehmen mag, ob 2 oder 3 etc. Atome Quecksilber oder Schwefel, die Zusammensetzung des Zinnobers bleibt wie sie ist, nur die Art ihrer Versinnlichung würde sich mit der hypothetischen Ansicht über die Anzahl der Atome in einer chemischen Verbindung ändern. Es wird deshalb immer am besten bleiben, aus der chemischen Zeichensprache, deren einziger Zweck ja nur ist, die Zusammensetzungen der chemischen Verbindungen anschaulich und leicht verständlich zu machen, alles Hypothetische zu verbannen, die Schreibart der Formeln also nicht zu einem Ausdrucke wechselnder Vorstellungen zu machen. Die Anzahl der Aequivalente der Bestandtheile in einer chemischen Verbindung ist unveränderlich und bestimmbar, die eigentliche Anzahl der Atome, die sich zu einem Aequivalent vereinigen, wird nie ermittelt werden. Es führt aber nicht den geringsten Nachtheil mit sich, wenn wir überall, wo es sich um theoretische Betrachtungen oder um Verdeutlichung von Begriffen handelt, die Aequivalente für die Gewichte

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_068.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)