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Salz der Alchemisten suchte, da waren diese Elemente nicht mehr da; der Begriff war verbraucht. Noch lange nachher wurde der Begriff der erstickenden Eigenschaft eines Gases mit schweflicht, die Verbrennung einer feuerbeständigen Substanz mit Verkalkung bezeichnet, d. h. sie hatten eine Eigenschaft mit dem brennenden Schwefel oder mit dem Kalkstein gemein.

So ist es heutzutage nicht mehr möglich, eine Definition einer „Säure“ oder eines „Salzes“ zu geben, welche alle Körper, die man als Säuren oder Salze bezeichnet, in sich einschliesst. Wir haben Säuren, welche geschmacklos sind, welche die Pflanzenfarben nicht röthen, welche die Alkalien nicht neutralisiren; es giebt Säuren, in denen Sauerstoff ein Bestandtheil ist und in denen der Wasserstoff fehlt, in anderen ist Wasserstoff, kein Sauerstoff. Der Begriff von Salz ist zuletzt so verkehrt geworden, dass man dahin kam, das Kochsalz, das Salz aller Salze, von dem die anderen den Namen haben, aus der Reihe der eigentlichen Salze auszuschliessen.

Man sieht leicht, wie allmählich ein einfacher, bestimmter Begriff unbestimmt wird, indem andere Begriffe demselben zugefügt werden. An der Stelle des verbrauchten Begriffs erhalten wir, indem wir zu sondern anfangen, eine Anzahl neuer und bestimmterer Begriffe; es ist möglich, dass der ursprüngliche bis auf den Namen sich verliert, und man wird einst vielleicht weder eine Säure noch ein Salz mehr finden, so wie man keinen Schwefel und keinen Mercur mehr fand, als man sie nicht mehr nöthig hatte. Vorher war ihre Gegenwart Jedermann geläufig, erst dann, als man sie nicht mehr bedurfte, suchte man darnach.

Die chemischen Elemente waren, wie es sich von selbst versteht, nicht darstellbar, eben weil sie nur Qualitäten bezeichneten. Niemand dachte daran, sie darzustellen; sie wurden als Bestandtheile von allen Körpern angesehen.

Zwischen organischen Körpern und Mineralsubstanzen machte man keinen Unterschied, ihre Verschiedenheit glaubte man bedingt durch einen ungleichen Gehalt von Elementen. Man stellte den Essig in dieselbe Reihe mit den Mineralsäuren, der Weingeist (Spiritus vini) stand neben dem Zinnchlorid (Spiritus Libavii), das Chlorantimon (Butyrum antimonii) neben der Kuhbutter.

Zu Geber’s Zeit hielt man den chemischen Process für ähnlich dem organischen Process; im 13. Jahrhundert bildete sich die Idee aus, der Lebensprocess sei analog dem chemischen. In frühester Zeit glaubte man, die Metalle entwickelten sich aus einem Samen, wie die Pflanzen; später hielt man dafür, der chemische Process erzeuge den Samen. Den Gährungs- und Fäulnissprocess hielten die Alten für die Ursache der Erzeugung von Pflanzen und Thieren, während im Gegensatz heutiges Tages einige Physiologen und Pathologen die Entwickelung und Erzeugung von Thieren und Pflanzen als die Ursache der Gährung und Fäulniss betrachten.

Naturanschauungen und Betrachtungen lassen sich dem Geiste nur durch Bilder oder durch Begriffe verständlich machen, welche der Naturwissenschaft entlehnt sind, und die ihr Gewand tragen.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_049.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)