Seite:David Hilbert Gesammelte Abhandlungen Bd 1.djvu/547

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Noch einmal wendet sich Hilbert jetzt, in 8, 9, dem quadratischen Reziprozitätsgesetz zu, nun aber nicht mehr mit der früheren Beschränkung auf den speziellen Gaußschen Grundkörper , sondern für einen allgemeinen algebraischen Zahlkörper als Grundkörper. Dieser Schritt ist von entscheidender Wichtigkeit, und charakteristisch für die Hilbertsche aufs allgemeine gerichtete Denkweise. Während man bisher zwar die Bedeutung der algebraischen Zahlentheorie für das Reziprozitätsgesetz erkannt hatte, hatte man sich doch durchweg auf die Betrachtung der gerade erforderlichen algebraischen Zahlkörper beschränkt, im Falle des Reziprozitätsgesetzes der -ten Potenzreste also des -ten Kreiskörpers als Grundkörper und der Kummerschen Körper über ihm [1]. Hilberts Schritt zu allgemeinen algebraischen Grundkörpern bedeutet als neue Zielsetzung das Studium der Theorie der allgemeinen algebraischen Zahlkörper, der algebraischen und arithmetischen Gesetzlichkeiten in und über ihnen, um ihrer selbst willen, während die klassische Zahlentheorie nur den rationalen Zahlkörper um seiner selbst willen studiert hatte. So entwickelt denn Hilbert jetzt das quadratische Reziprozitätsgesetz im Rahmen einer allgemeinen Theorie der relativ-quadratischen Zahlkörper über einem algebraischen Zahlkörper , den er allerdings zunächst der wesentlichen Beschränkung unterwerfen muß, daß seine Klassenzahl ungerade ist, ebenso wie ja auch die Kummerschen, im fünften Teil des Zahlberichts behandelten Untersuchungen nur für solche -te Kreiskörper durchgeführt werden konnten, deren Klassenzahl zu prim ist („reguläre“ Kreiskörper).

Den Gipfel von Hilberts zahlentheoretischer Leistung hat man ohne Frage in der letzten seiner Arbeiten zur algebraischen Zahlentheorie, in 10, zu sehen, wenn auch – oder vielleicht gerade weil – diese Arbeit einen mehr programmatischen Charakter hat. Hier weist Hilbert zunächst auf, wie man in der Theorie der relativ-quadratischen Zahlkörper die Beschränkung auf Grundkörper ungerader Klassenzahl loswerden kann. Den Schlüssel dazu findet er in der Theorie der Klassenkörper eines algebraischen Zahlkörpers, das sind bei Hilbert die unverzweigten relativ-Abelschen Körper. Mit bewundernswertem Weitblick stellt er am Schluß jener Arbeit, wennschon lediglich im Besitz der Theorie des Relativgrades 2, ganz allgemein für diese Klassenkörper den Komplex derjenigen Sätze hin, die man heute als Hauptsätze der Klassenkörpertheorie (im unverzweigten Fall) bezeichnet. Zudem spricht er am Schluß des § 1 sowie durch die Wahl des Titels klar aus, daß


  1. Das gilt sinngemäß auch für Hilberts Untersuchung 5. Denn die zugrunde liegende Gaußsche Untersuchung zielte auf mehr als bloß das quadratische Reziprozitätsgesetz in , vielmehr auf das biquadratische Reziprozitätsgesetz in , und dafür ist der 4-te Kreiskörper naturgemäß erforderlich.
Empfohlene Zitierweise:
David Hilbert: David Hilbert Gesammelte Abhandlungen Erster Band – Zahlentheorie. Julius Springer, Göttingen 1932, Seite 530. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:David_Hilbert_Gesammelte_Abhandlungen_Bd_1.djvu/547&oldid=- (Version vom 11.9.2016)