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vorläufig nur die Zinsen unbeschränkt verbrauchen durfte, weil das Gericht aus Vorsicht auch über mein Muttererbteil in dieser Weise entschieden hatte, recht behaglich leben. Charles, der früher stets behauptet hatte, selbst begütert zu sein, ließ sich von mir völlig unterhalten. Irgend eine feste Anstellung hatte er nicht. Was er eigentlich trieb, wußte ich nicht. Es war mir auch gleichgültig. – Dann merkte ich eines Tages, daß die Schokolade, die ich zum Frühstück trank, sehr sonderbar schmeckte. Argwöhnisch wie ich war, goß ich sie fort und schickte nur ein Fläschchen von dem Inhalt der Tasse einem Chemiker zur Untersuchung. Zwei Tage später hatte ich den Bescheid: Die Schokolade war stark mit Arsenik durchsetzt. Das Gift würde genügt haben, einen Menschen zu töten.

Durch Befragen der mir treu ergebenen Köchin erfuhr ich, daß mein Mann sich damals in der Küche etwas zu schaffen gemacht hatte, als bereits die Tasse Schokolade für mich auf dem Tablett stand. – Dies genügte mir. Kurz erschlossen schrieb ich ihm einen Brief, indem ich ihm den Vorschlag machte, er solle für immer ins Ausland gehen. In diesem Falle würde ich ihm zur Begründung einer Existenz 50 000 Mark in bar auszahlen. Sollte er sich dagegen weigern, so könne er gewiß sein, daß ich abermals auf Scheidung unserer Ehe dringen würde, die ich jetzt infolge neuen Belastungsmaterials gegen ihn ohne weiteres auch erreichen würde. Inzwischen war ich mit meinem Kinde – aus Angst vor weiteren Nachstellungen, zu einer Freundin gezogen. – Umgehend traf seine Antwort ein: Er war einverstanden. – Im Büro meines Vormundes wurde dann eine Urkunde aufgesetzt, in der mein Mann sich gegen Zahlung der genannten Summe verpflichtete, nie mehr nach Deutschland zurückzukehren und außerdem auf die Erbschaft nach meinem Tode verzichtete. Letzteres zu unterzeichnen sträubte er sich

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W. von Neuhof: Das graue Gespenst. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_graue_Gespenst.pdf/60&oldid=- (Version vom 25.7.2016)