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hat sein Hirn verwirrt. Solche Fälle sind nicht selten. Trotzdem bleibt er auch als Geisteskranker ein höchst gefährliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft, das unschädlich gemacht werden müßte.“

Heinrich Wend saß stumm mit seltsam versteinertem Gesicht in seiner Sofaecke. Das, was der Chemiker soeben vorgelesen hatte, wirkte auf ihn wie ein furchtbarer Traum, über den man nach dem Erwachen regungslos nachsinnt, sich immer wieder fragend: „Ist all dies etwa Wirklichkeit?“

Seiffert blickte Heinrich prüfend an, als dieser nichts erwiderte und nur mit weiten, entsetzten Augen vor sich hin stierte. Dann trat er neben ihn, strich ihm über das Haar, sagte herzlich:

„Dein armer Bruder! Wir werden ihn zu befreien, zu retten versuchen, falls – er noch lebt.“

Da wurde Heinrich plötzlich lebendig, haschte nach der liebkosenden Hand seines Wohltäters und Beschützers und rief:

„Mein Bruder! Oh – helfen Sie, Herr Seiffert, – er darf dort nicht umkommen, darf nicht! Vielleicht ist er noch am Leben, vielleicht –“ Ein Schluchzen erstickte seine Worte.

Der Chemiker sprach ihm beruhigend zu. Als Heinrich sich wieder gefaßt hatte, ging Seiffert erst eine geraume Weile tiefes Nachdenken versunken, in dem stillen Gemach auf und ab, blieb dann vor dem Knaben stehen und sagte leise:

„Kleiner Freund, da heute ein Tag wichtiger Geschehnisse ist, will ich auch meinerseits Dir Eröffnungen machen, die Dir vieles erklären werden, was bisher von mir absichtlich verheimlicht wurde. – Höre denn: Ich bin nicht allein Chemiker, sondern auch Schiffsingenieur. – Diese Insel pachtete ich als für meine Zwecke ganz besonders geeignet. Als ich dann in den Zeitungen, die ja nach der Heimkehr des Steuermanns spaltenlange Berichte über seine Abenteuer brachten, so viel über ihn las, wurde ich auf ihn aufmerksam, prüfte als Mann, der jeder Sache auf den Grund geht, seine Schilderung über das Schicksal der

Empfohlene Zitierweise:
W. Belka: Das Tagebuch des Steuermanns. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1919, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Tagebuch_des_Steuermanns.pdf/28&oldid=- (Version vom 31.7.2018)