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die Strahlung einen Druck; der Gegendruck erfolgt erst, wenn diese einen absorbierenden Körper erreicht; demgemäß muß der Strahlung ebenfalls eine Druckkraft, eben die elektromagnetische Bewegungsgröße, zugeschrieben werden.

Die Masse, obschon bisher, wenigstens in Form der wägbaren Masse, ein Grundpfeiler der Chemie, genügt nicht mehr dem Gesetz der Erhaltung des Stoffs, denn sie ändert sich mit der in ihr enthaltenen Energie.

Verliert ein strahlender Körper die Energiemenge , so verliert er infolgedessen gleichzeitig an Masse den Betrag , wenn die Lichtgeschwindigkeit. Bei der Absorption nimmt die Masse des absorbierenden Körpers um eben so viel zu. Masse und Energie erscheinen also äquivalent, ähnlich wie Wärme und Energie. Gleiches gilt in andern Fällen von Energieänderung.

Demgemäß erfordert das Relativitätsprinzip eine Umgestaltung der Thermodynamik. Temperatur und Energie sind ähnlich wie das Volumen eines Körpers vom Bewegungszustand abhängig, Druck und Entropie dagegen werden davon nicht beeinflußt! Jede Abgabe von Wärme bedingt Abnahme der Trägheit, wenn auch nur sehr wenig. Ist ein Körper von Strahlung erfüllt – und solche entsteht immer, sobald ein Elektron seinen Bewegungszustand ändert —, so muß, falls derselbe in Bewegung gesetzt wird, die bewegende Kraft Arbeit leisten gegen den Strahlungsdruck wie gegen eine träge Masse. Die Energie des Körpers ist also nicht einfach die Summe seiner Wärme und Bewegungsenergie. An Stelle des Prinzips der Erhaltung der Energie muß das Prinzip der kleinsten Wirkung[1] verwendet werden.

Zum Verständnis des Begriffs Masse, insbesondere der Erscheinungen der Kristallisation, Lösung, Diffusion, chemischer Verbindung usw. mußte die Masse aus kleinen Individuen, Atomen bestehend angenommen werden, welche wir in Gedanken durch unser eigenes unteilbares Ich ersetzen können. Nachdem, wie gezeigt, das Relativitätsprinzip dazu führt, auf solche Begreiflichkeit der Erscheinungen ganz zu verzichten, könnte scheinen, daß auch die Molekulartheorie fallen muß.


  1. Siehe M. Planck, Acht Vorlesungen über theoretische Physik, Leipzig, Hirzel, 1910, S. 96 u. ff.
Empfohlene Zitierweise:
Otto Lehmann: Das Relativitätsprinzip der neue Fundamentalsatz der Physik. Verhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins in Karlsruhe, Bd. 23 (1909-1910), Karlsruhe 1911, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Relativit%C3%A4tsprinzip_(Lehmann).djvu/22&oldid=- (Version vom 11.8.2024)