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eingangs als selbstverständlich vorausgesetzt wurde. Nur vereinigt bestimmen sie absolute Größen, wie z. B. die Lichtgeschwindigkeit. »Von Stund an sollen Raum für sich und Zeit für sich völlig zu Schatten herabsinken und nur noch eine Art Union der beiden soll Selbständigkeit bewahren«, äußerte sich in einem Vortrage auf der Naturforscherversammlung in Köln 1908 der verstorbene Göttinger Mathematiker Minkowski, dem es gelungen ist, die Relativitätstheorie in eine elegante mathematische Form zu bringen[1].

Wie schwer es ist, sich an diese neue Art der Auffassung zu gewöhnen, erfuhr schon Einstein selber, welcher sagt, er habe wochenlang nachdenken müssen, bis ihm die Resultate seiner Formeln nicht mehr widersinnig vorgekommen seien. Minkowski bezeichnete seine eigene Auffassung als »Verwegenheit mathematischer Kultur«! M. Planck in Berlin sagt: »Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, daß diese neue Auffassung des Zeitbegriffs an die Abstraktionsfähigkeit und an die Einbildungskraft des Physikers die allerhöchsten Anforderungen stellt. Sie übertrifft an Kühnheit wohl alles, was bisher in der spekulativen Naturforschung, ja in der philosophischen Erkenntnistheorie geleistet wurde; die nichteuklidische Geometrie ist Kinderspiel dagegen. Und doch beansprucht das Relativitätsprinzip im Gegensatz zur nichteuklidischen Geometrie die bisher nur für die reine Mathematik ernstlich in Betracht kommt, mit vollem Recht reelle physikalische Bedeutung. Mit der durch dies Prinzip im Bereiche der physikalischen Weltanschauung hervorgerufenen Umwälzung ist an Ausdehnung und Tiefe wohl nur noch die durch Einführung des Kopernikanischen Weltsystems bedingte zu vergleichen.«

Indem die Einstein-Minkowskische Relativitätstheorie auf die Existenz eines Äthers verzichtet, verzichtet sie damit selbstverständlich auch auf jede Möglichkeit, die elektrodynamischen und optischen Erscheinungen mechanisch zu begreifen, das »Wesen von Elektrizität und Magnetismus« zu ermitteln. Wir haben im elektromagnetischen Feld wohl Kräfte, aber keine Träger derselben, wir können nur sagen, sie sind vorhanden, wir sind aber nicht imstande in Gedanken unser eigenes Ich als Träger zu setzen.


  1. Es sei verwiesen auf H. Minkowski, Nachr. d. K. Ges. d. Wissensch. zu Göttingen (21. Dez. 1907) 1908, und M. Born, Math. Ann. 68, 526, 1910.
Empfohlene Zitierweise:
Otto Lehmann: Das Relativitätsprinzip der neue Fundamentalsatz der Physik. Verhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins in Karlsruhe, Bd. 23 (1909-1910), Karlsruhe 1911, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Relativit%C3%A4tsprinzip_(Lehmann).djvu/17&oldid=- (Version vom 11.8.2024)