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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 147. 26 Mai 1828.

Chinesische Heirathsgebräuche.

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Die Heirathsgebräuche der Chinesen sind äußerst mannigfaltig und zum Theil von nicht geringer Seltsamkeit. Die Aufmerksamkeit auf die unbedeutendsten Kleinigkeiten, welche die Gesetzgebung, wie alle übrigen Institutionen dieses merkwürdigen Volkes, auszeichnet, zeigt sich auch in den Sitten und Gebräuchen, welche auf die Ehe Bezug haben, und macht das Heirathen zu einem Geschäft von noch ungleich größeren Schwierigkeiten, als demselben in unserem civilisirten Welttheile entgegenstehen.

In dem chinesischen Werke „die ganze Pflicht des Menschen“ (Tsiuen dschin kiu hwo) ist ein Capitel über die Ehe, woraus hervorgeht, daß früher die Männer in einem Alter von dreißig, die Weiber von zwanzig Jahren heiratheten; aber der Verfasser dieses Buches, der ein Vertheidiger des frühen Heirathens ist, empfiehlt, daß die Jünglinge ihre ehelichen Verbindungen mit sechszehn, die Mädchen mit vierzehn eingehen. Diesen Rath befolgen die Reichen, während die Armen die Ehe auf eine spätere Periode hinausschieben.

Der Le-king schreibt fünfzehn als das Alter vor, wo das Haar einer Tochter aufgeflochten werden muß, d. h. wo man sie als erwachsen betrachtet und ihr ein anderer Name gegeben wird. Das zur Ehe geschickte Alter ist indessen nach diesem Autor zwanzig Jahre: wenn ein Frauenzimmer verlobt ist, fügt er hinzu, so trägt sie eine Leibbinde (Schärpe) zum Zeichen, daß sie einem andern verbunden ist. Wenn ein junges Mädchen ein Geschenk annimmt, so heißt dieß heu-ying, ein Versprechen, die Schärpe umzubinden. Wenn dieses stattgefunden hat, so verwirkt der Mann, welcher mit Zustimmung der Eltern oder Vormünder die einem andern Verlobte heirathet, nach den chinesischen Gesetzen eine Strafe von hundert Bambusstreichen; die Eltern oder Vormünder erhalten dieselbe Züchtigung.

Als das Alter der Reife betrachtet man bei dem Frauenzimmer zweimal sieben Jahre; als die Periode, wo sie aufhören, Mütter zu werden, siebenmal sieben, oder neunundvierzig. Wenn in früherem oder späterem Alter Fälle von Schwangerschaft vorkommen, so sieht man dieß als etwas widernatürliches an. Der Le-king enthält eine alte Vorschrift in Bezug auf die Erziehung des weiblichen Geschlechts, worin es heißt: das Verschließen der Frauenzimmer in ihre Häuser soll mit ihrem zehnten Jahre anfangen; sie sollen dann von einer Erzieherin unterrichtet werden, in sanfter Rede, ein gefälliges Betragen anzunehmen, aufmerksam zuzuhören und zu gehorchen, Flachs zu spinnen und die Seidencocons zu bereiten.

Der ehelose Stand wird nur den Bonzen der Buddhisten und den Lehrern der Taousecte auferlegt, welche, wenn sie sich verheirathen, oder nur Beischläferinnen zulegen, den Priesterstand aufzugeben gezwungen werden, und außerdem achtzig Stockschläge empfangen. Die Ehelosigkeit wird gebilligt bei Töchtern, welche ihr ganzes Leben damit zubringen, ihre Eltern zu pflegen.

Obwohl gegenwärtig in China die Polygamie herrschend ist, scheint es doch, daß sie durch die früheren Gesetze verboten war. In der Clausel des Ta-tsing-leuh-le, welche sich auf den Verlust des Rangs einer Ehefrau oder Concubine bezieht, wird nämlich verordnet: „Wenn der, welcher ein Weib hat, ein anderes Weib heirathet, so soll er neunzig Stockschläge erhalten und das letzte Weib soll von ihm geschieden werden.“ – Auch die Art, wie die Verheirathung vollzogen wird, scheint sich im Verlauf der Zeit geändert zu haben. In früheren Zeiten (sagt der Leuh-le) setzten Mann und Weib, nachdem sie über ihre Verbindung einig geworden, selbst den Heirathscontract (Hwan-schu) auf, welchen sie dann der Obrigkeit vorlegten, unter deren Aufsicht sie standen: ohne diese Förmlichkeit wurde die Ehe für eine heimliche Uebereinkunft gehalten. Gegenwärtig wird die schriftliche Uebereinkunft nicht von den Parteien selbst ausgearbeitet, sondern von dem Zwischengänger, dem Unterhändler, dessen man sich in dieser delicaten Angelegenheit bedient, aber auch ohne Hwan-schu gilt die bloße Annahme von Geschenken für gleich bindend. Die Anordnung der Heirathen ist nach dem Gesetz zuerst Großmutter und Großvater, darauf Vater und Mutter, und, falls diese gestorben sind, den nächsten Verwandten anheimgestellt.

Das Amt des Zwischengängers (tscho oder mei), dessen Vermittlung unumgänglich nothwendig ist, um eine Heirath zu Stande zu bringen, wird in China als nichts weniger denn unehrenhaft betrachtet. Diese Person, die männlichen oder weiblichen Geschlechts seyn kann, tritt mit den Eltern beider Parteien in Unterhandlung, und nachdem durch ihre Vermittlung eine Uebereinkunft getroffen worden ist, mag das Frauenzimmer die Heirathsgeschenke des Mannes annehmen.


  1. Aus den verschiedenen, in Morrisons chinesischem Wörterbuch zerstreuten Notizen zusammengestellt im Londoner Asiatic Journal, No. CXLII p. 438 ff.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 585. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_611.jpg&oldid=- (Version vom 24.5.2023)