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Das Ausland. 1,2.1828

und klagte ihm, daß der Teufel sie überreden wolle, es sey in ihren Träumen kein gesunder Verstand. Genet antwortete hierauf: „Es scheint freilich, liebe Schwester, als ob der Teufel sich zu den Grundsätzen der großen Philosophie bekenne. Man möchte ihn selbst ein wenig in den Verdacht des Materialismus ziehen. Wenigstens bedient er sich der Sprache aller derer, die in dem Menschen nur eine Maschine und nichts als Natürliches und Materielles sehen. Was uns betrifft, so halten wir für gewiß, daß Gott während des Schlafes auf die intellectuellen Kräfte unserer Seele wirkt.

Jeanne le Royer faßt nun neues Zutrauen und erzählt dem würdigen Beichtvater ihre zahlreichen Offenbarungen, die nicht weniger als vier dicke Oktavbände einnehmen. Es ist schwer, sich von der fanatischen Ueberspannung, Unverschämtheit und Albernheit dieser vorgeblichen Offenbarungen einen Begriff zu machen: Aber Alles hat nur einen Zweck, den Menschen dahin zu bringen, daß er dem Gebrauche seiner Vernunft entsage, ihn in die Ketten des tollsten Aberglaubens einzuschmieden und die ganze Gesellschaft dem Joche des Priesterthums zu unterwerfen.

La parfaite Réligieuse par M. A. Marin (Paris 1827. 12) und Virginie ou la Vièrge chrétienne von demselben Verfasser (Paris 1825. 12), zwei fromme Romane, gehören dem nämlichen Systeme an. Unter den Maximen, die wir hier finden, verdient besonders die, welche den Gehorsam betrifft, unsere Aufmerksamkeit. Unbedingter, blinder Gehorsam, selbst im Widerspruche gegen unser Gewissen, dieß ist der höchste Grad der christlichen Vollkommenheit. Man erkennt leicht in dieser Lehre die Quelle aller der Mißbräuche, aller der ärgerlichen Auftritte, von denen so häufig die Nonnenklöster der Schauplatz gewesen sind.

Von all den „guten Büchern,“ mit denen Frankreich durch die Bemühungen der katholischen Gesellschaft überschwemmt worden ist, beschäftigt sich nicht ein einziges mit den Pflichten des Menschen gegen seines Gleichen und gegen die Gesellschaft, mit den Pflichten der Familie und den Tugenden, die der Trost des Unglückes und der Reiz des Glückes sind. Die gewöhnliche Moral ist völlig daraus verbannt; nie wird zu dem Herzen, immer nur zu der Phantasie gesprochen. Dasselbe System ist es, das die Missionäre befolgen, sie predigen nie über etwas anders, als die Hölle, den Tod und die Verdammniß; sie suchen Schrecken einzuflößen, jenen knechtischen Schrecken, den der Sclave unter der Geisel seines Henkers fühlt. Nie hat man mit größerem Eifer, größerer Anstrengung und Consequenz dahin gearbeitet, die menschliche Natur zu erniedrigen, alle vernünftigen Begriffe zu verwirren, die Gewissen zu hintergehen; es ist ein Vernichtungskrieg, der gegen die ganze civilisirte Gesellschaft geführt wird; aber – wir dürfen darauf vertrauen – nicht dieser, sondern nur dem Urheber jenes schändlichen Systems kann der Kampf den Untergang bringen.



Collingwood’s Memoiren.

Nichts ist ein glänzenderer Beweis für die Ueberlegenheit der französischen Nation, als das allgemeine europäische Interesse, welches die unzähligen Memoiren zur Geschichte derselben erhalten haben. Daß nicht die Gattung an und für sich dieser Gunst genieße, wie man oft gemeint hat, geht aus dem Stillschweigen hervor, mit welchem die fast ebenso zahlreichen und meist eben so unterhaltenden englischen Memoiren aufgenommen werden. Die kürzlich erschienenen Memoiren Cannings sowohl, als jetzt die von Collingwood, (A Selection from the Public and Private Correspondence of Vice-Admiral Lord Collingwood, interspersed with Memoirs of his Life, London 1828. 8)) einem Waffengefährten Nelson’s und seinem Nachfolger im Commando der brittischen Flotte im Mittelmeere, sind außer England – wie es scheint – blos deshalb noch nicht vergessen worden, weil Niemand darauf geachtet hat. Die letzteren indessen noch mehr als die erstern, enthalten manchen nicht unwichtigen Beitrag zur Zeitgeschichte. So geht, um nur ein einziges Beispiel anzuführen, aus jenen hervor, daß Admiral Collingwood den Plan Napoleons zu einer Invasion in Irland, den wir aus Dumas Précis des Evévenemens Militaires kennen, damals mit allen seinen Details errathen hatte.



Nordamericanische Literatur.

Zu den beiden seit längerer Zeit bestehenden wissenschaftlichen Vierteljahrsschriften: The North-American Review (in Boston, 5000 Exemplare) und The American Review (in Philadelphia, 3000 Exempl.) ist kürzlich eine dritte getretten: The Southern Review, welche in Charlestown, der Hst. von Südcarolina erscheint und hauptsächlich den Zweck zu haben scheint, des Interesses der südlichen Staaten gegen ihre nördlichen Mitbürger wahrzunehmen. So enthält gleich die erste Nummer (im Februar d. J. erschienen) einen Artikel über die africanische Colonisations-Gesellschaft – einen Verein, welcher die farbige Bevölkerung von Nordamerica nach Africa zurück zu führen beabsichtigt und deshalb an der westafricanischen Küste die Colonie Liberia angelegt hat. Es wird der Regierung der V. St. das Recht bestritten, an dieser Gesellschaft Theil zu nehmen, weil Emancipation der Sclaven für die südlichen Staaten die nachtheiligsten Folgen haben müsse.



Weitschweifigkeit constitutioneller und republicanischer Redner.

Nicht bloß in Deutschland wird über die Ausführlichkeit geklagt, in der sich manche unserer constitutionellen Redner gefallen; – läugnen kann man nicht, daß es ein angenehmes Gefühl seyn muß, die Aufmerksamkeit einer Versammlung der angesehensten Männer des Staates durch wohlgesetzte Redensarten zu beschäftigen. Ein Correspondent aus Nordamerica schreibt uns, daß die interessanteste Debatte, die er seit lange im Congreß gehört habe, den Vorschlag eines Mitgliedes betroffen habe, daß es künftig nicht gestattet seyn solle, eine Rede zu halten, die länger als eine Stunde daure. Der Freund der Kürze, der diesen Vorschlag machte, meinte: wenn man denselben nicht annehme, werde man auf die englische Sitte kommen müssen, einen schlechten Redner „herunter zu husten“ (to caugh down). Diese inhumane Aueßerung erregte indeß solchen Unwillen in dem Hause, daß der Redner beinahe selbst heruntergehustet worden wäre. Sein Vorschlag wurde verworfen.

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 500. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_520.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2023)