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Das Ausland. 1,2.1828

begleitet, aus der Gegend der Hütte des Lama nach Hause. Gleich bei seinem Eintritt und Gruß bemerkten wir an ihm eine früher noch nie wahrgenommene üble Laune. Nachdem er einen wartenden Handelstataren abgefertigt hatte, saß er stumm und verdrießlich auf seinem Lager, und kritzelte Figuren auf ein Stück Papier. Alles saß in tiefstem Schweigen, und nichts unterbrach diese Todesstille, als ein taktmäßiges Pochen, welches von zwei Weibern, von denen die eine die fürstliche Amme war, herrührte. Diese saßen links von dem fürstlichen Polster-Lager und tödteten einander die Eier ihrer Kopfinsekten, welches ohne besondere Auswahl der Stellen mit solchem Nachdruck geschah, daß die leidende Person, bei jedem Angriff auf die feindliche Brut tief niedergestoßen wurde.

Während unserer ganzen Reise hatten auch wir, aller angewandten Vorsichtsmaßregeln ungeachtet, von allen Gattungen dieses Insekts beständige Ueberlast zu erdulden, da dasselbe bei den Kalmücken so heimathlich ist, als ob bei ihnen sein eigentliches Vaterland wäre. Da es eine Sünde ist, lebendige Wesen zu tödten, so werden diese beschwerlichen Gäste möglichst geschont, und bei allzugroßer Zudringlichkeit gewöhnlich bloß abgelesen. Hiedurch nehmen sie in den Zelten so überhand, daß wir, wenn wir einem Kalmücken einen Besuch abstatteten, dieselben nicht selten an uns emporklimmen sahen, und bei jedem Besuch, den wir von einem Kalmücken erhielten, auf wenigstens dreißig Stück neue Einquartirung rechnen konnten. So vertraut man mit diesem kriechenden Insekt umgeht, so sehr entsetzt man sich vor der Gegenwart jenes hüpfenden Thierchens, welches, wie auch die Bettwanze, hier fremd ist.

Als wir so eine Zeitlang in gegenseitigem Schweigen zugebracht hatten, erinnerten wir den Fürsten an unsre Angelegenheit, worauf er aber keine Antwort gab, sondern statt dessen fortfuhr, Figuren zu zeichnen. Bald darauf meldete ein Diener, daß einige fremden Reiter angekommen wären. Es waren dörböd’sche Saißangs mit einem kleinen Gefolge. Nach kalmück’scher Sitte hielten sie etwa hundert Schritte hinter dem fürstlichen Zelte, näherten sich langsam demselben von hinten, und kamen darauf nach erhaltener Erlaubniß von der rechten Seite des Eingangs in das Zelt. Der vornehmste unter ihnen, der Saißang Burre-Mangne, näherte sich dem Fürsten bis auf einige Schritt, nahm dann seine Mütze ab, ließ sich vor ihm auf das rechte Knie nieder, und berührte mit der rechten Hand das linke Knie des mit unterschlagenen Beinen sitzenden Fürsten, welcher ihm mit seiner rechten Hand den rechten Oberarm berührte. Auf ähnliche Weise verbeugte er sich auch vor der Fürstin und begab sich dann zurück nach der rechten Seite des Eingangs, wo er sich auf ein Knie niederließ, und auf die Ferse des unterschlagenen Beins setzte. Seinem Beispiel folgte auch der andere Saißang, ohne daß dabei etwas gesprochen wurde. Nachdem beide auf gedachte Weise ihren Sitz bei der Thüre eingenommen hatten, und die Fragen nach dem Befinden gewechselt waren, gaben sie sich in ihrer Eigenschaft als Gesandte des dörböd’schen Fürsten Dschambe zu erkennen, und überbrachten die Nachricht, daß ihrem Fürsten ein Sohn geboren sey, weshalb er nicht abgeneigt wäre, Friedensanträge zu machen. Da sie aber mit keinen schriftlichen Vollmachten versehen waren, so machten ihre Reden keinen sonderlichen Eindruck auf Aerdäni, welcher sich über die Räubereien der Dörböden weitläuftig ausließ, ohne daß die Gesandtschaft gewagt hätte, der torgud’schen Räubereien zu erwähnen.

Wir entfernten uns, wobei der Fürst sich entschuldigte, daß er heute keine Zeit gehabt habe, sich mit unsern Angelegenheiten zu beschäftigen. Trotz seines Versprechens aber, uns das Schreiben bald auszufertigen, gingen wieder einige Tage hin und wir mußten zuletzt noch einmal mit dem Lager ziehen. Denn Tags zuvor hatte er uns das Schreiben auszufertigen versprochen, als wir es aber Nachmittags abholen wollten, zeigte er uns blos ein versiegelt gewesenes Papier, welches das Schreiben enthalten sollte; doch müsse ers noch ins Reine schreiben, was heute nicht mehr angehe. Zum Schluß begehrte er noch von mir ein Mittel wider das Ausfallen der Haare, da es ihm sehr leid war, daß sein Zopf alle Tage dünner würde, und die Fürstin verlangte ein Mittel wider die Sommerflecken, wie auch etwas magenstärkende Medizin. Für den Lama mußten wir ebenfalls einige Arzneien gegen Unterleibsbeschwerden zurechte machen, da sich der Ruf unsrer Heilkunde, der uns schon als Deutschen vorangieng, durch die Wiederherstellung einer Frau, die an Magenübeln litt, und einiger augenkranken Kalmücken, bei denen vorsichtige Gaben des so genannten St. Yves Balsams herrliche Wirkung hervorbrachten, im ganzen Lager verbreitet hatte.

Der Zug hatte sich bisher, wie natürlich, immer nach den Orten gerichtet, wo sich Brunnen befanden: so war man am Nasirsbrunnen, am Ulahstin, d. h. Weidenbrunnen, am Chaltarihn-Burrä-Chuduk, d. h. am gelblich grauen Brunnen gelagert, heute – es war der 30 Juni – gelangte man nach einer Wanderung von etwa zwölf Wersten an den Nojoni-Gellongihn-Chuduk, d. h. an den Fürsten und Priesterbrunnen.

Unterwegs paßirten wir ein Heuschreckenheer von der Breite einiger Werste.

Die Zugheuschrecke (gryllus migratorius) hat eine Länge von drei bis vier Zoll, und ist in ihrem vollkommenen Zustande länger und schmäler, als andere Heuschreckenarten, z. B. die in Deutschland bekannten Heupferde, welche eine stärkere Brust und kürzere Flügel haben. Der Kopf ist stumpf mit kurzen Fühlhörnern und wie die Brust von graugrüner Farbe, die Kinnladen sind dunkelbraun, die großen Augen schwarz, die Oberflügel schmutzig, grüngelb mit vielen erloschenen dunkeln Flecken, welche die Flügel in einiger Entfernung schwärzlich erscheinen lassen, der Leib endlich und die Füße blaßgelb mit schwarzen Flecken am innern Schenkel. In der ersten Verwandlungszeit haben sie noch sehr unvollkommene Flügel, welche den Leib nicht ganz bedecken, während diese im vollkommenen Zustand über denselben hinaus reichen. Die Heuschrecken sind für die Länder, die sie überziehen, eine wahre Geißel, und werden mit Recht vom Propheten Joël in dessen hochpoetischer Schilderung unter die göttlichen

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_485.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2023)