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Das Ausland. 1,2.1828

vorwirft, – dennoch alle in dem Vorwurfe der Feigheit übereinstimmen. Es liegt gegenwärtig außerhalb unseres Planes, in eine Untersuchung der zufälligen Umstände einzugehen, welche jene so allgemeinen Klagen veranlaßt haben können; in den meisten Fällen dürfte überdieß zur Erklärung derselben, bei den überspannten Erwartungen, mit welchen die Reisenden aller Nationen „den classischen Boden von Italien“ zu betreten pflegen, die natürliche Folge dieser Ueberspannung, die Täuschung der darauf gegründeten Erwartungen, hinreichend seyn.

Aus der ganzen Schaar der Reisebeschreiber, die in der neuesten Zeit über Italien geschrieben haben, dürfte vielleicht Simond derjenige seyn, den wir als den unparteilichsten Beobachter und Beurtheiler der charakteristischen Sitten und Gewohnheiten des Landes betrachten dürfen; wenn er indeß dem allgemeinen Vorurtheil gegen den Nationalcharakter der Italiener nichts anderes entgegen zu setzen weiß, als daß sie überhaupt keinen Nationalcharakter hätten, weil sie keine Nation wären, sondern in eine Menge völlig von einander verschiedener Völkerschaften zerfielen, so wollen wir statt aller Widerlegung, nur darauf aufmerksam machen, daß ja auch die Dialecte der verschiedenen Provinzen von Italien unendlich verschieden, und abweichend von einander sind, ohne daß sie deßhalb aufhörten italienisch zu seyn, anderen Sprachen gegenüber ein selbstständiges Ganzes, ein einziges, nach gemeinschaftlichen Gesetzen organisirtes Sprachsystem zu bilden. Die Italiener sind ein Volk, wie die Deutschen ein Volk sind, wenn auch durch die politischen Verhältnisse in noch so viele verschiedene Staaten zerrissen; und es fragt sich weniger darum, ob man ein Recht habe, sie als ein ganzes zu beurtheilen, als um die Gerechtigkeit dieses Urtheils, wie es fast überall gefällt wird.

Wenn wir uns auf den Grundsatz berufen dürfen, daß jeder nur das, worin er selbst die Meisterschaft erreicht hat, am schärfsten zu beurtheilen vermöge, so kann von dem Vorwurfe der Feigheit, so allgemein er auch den Italienern gemacht wird, eigentlich kaum mehr die Rede seyn, seitdem der Mann, der als der größte Feldherr und Krieger unserer Zeit anerkannt wird, sie von demselben frei gesprochen hat. „Die Tapferkeit der Italiener – sagte Napoleon noch in den letzten Tagen seiner Gefangenschaft – die Tapferkeit der Italiener hat sich zu allen Zeiten gleich rühmlich bewährt. Man darf zum Beweis nur das alte Rom anführen, und die Condottieri des Mittelalters, und aus dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert die Truppen der cisalpinischen Republik und des Königreiches Italien.“

Im Lager zu Agaponowszchyzna bei Witepsk hatte Napoleon sein Zelt mitten unter der italienischen Garde. Als er einen Offizier derselben um die Stärke und den Zustand seines Regimentes und den Verlust desselben auf dem Marsch befragte, antwortete dieser: „Sire, wir haben Compagnien, die von Italien bis hieher nicht einen Mann verloren haben.“ Der Kaiser, jedoch ohne sich darüber verwundert zu zeigen, erwiederte: „Wie? Sie sind noch immer von derselben Stärke, wie sie aus Mailand ausmarschirt sind?“ – „Ja, Ew. Majestät!“ waren die Worte des Offiziers. Nach einer kurzen Pause fuhr Napoleon fort: „Euer Regiment hat sich noch nicht mit den Russen gemessen?“ – „Nein, Sire, aber es wünschte dieß auf das lebhafteste.“ – „Ich weiß, unterbrach ihn der Kaiser, es hat sich mit Ruhm bedeckt in Spanien, in Dalmatien, in Deutschland, wo es immer gewesen ist!“ – „Ah! ah! siehe da die alten Schnurrbärte von Austerlitz (indem er mit Wohlgefallen auf die wachthabenden Grenadiere wies) – die Italiener sind tapfer, sie müssen es seyn – sie haben so viele schöne Erinnerungen, – und das Blut der Römer, das euch durch die Adern läuft – ihr könnt es nie vergessen!“ [1]

Wenn wir in diesen Worten auch nur die natürliche Absicht eines Feldherrn sehen, seine Truppen zu ermuthigen, so dürfen wir doch nicht vergessen, daß sie diesen – nach allem, was wir von dem Benehmen derselben, in dem darauffolgenden Feldzuge wissen, nur die verdiente Gerechtigkeit wiederfahren ließen. Als nicht lange nach dem Aufbruch aus dem Lager der Vicekönig Eugen von einem zahlreichen russischen Convoi Nachricht erhielt, das auf dem rechten Ufer der Dwina zog, entsandte er vier Bataillons Infanterie und 300 Reiter von der italienischen Armee, um denselben aufzuheben. Die Russen, so wie sie die Annäherung des Feindes bemerkten, obwohl in überlegener Zahl, schlugen sogleich in einer sehr vortheilhaften Stellung eine Wagenburg. Fünfmal wird dieselbe angegriffen, und fünfmal werden die Italiener zurückgeworfen; endlich wenden sich die Offiziere der letztern zu ihren Truppen, und rufen ihnen zu: „Wie, brave Jäger? wollen wir zum Vicekönig zurückkehren, ohne unsern Auftrag erfüllt zu haben? Heran! Wer das Herz eines Italieners hat, folge uns!“ Und unter dem Rufe: Viva l’ Italia! werfen sie sich in das feindliche Feuer, dringen durch die Wagen in das Viereck der Russen, zersprengen dasselbe und nehmen, mit geringem Verlust, den ganzen Transport.

Die Schlacht bei Walutina-Gora wurde vorzüglich durch die Tapferkeit des 127ten Regiments entschieden, das, fast ausschließlich aus Conscribirten von dem italienischen Departement des Alpes zusammengesetzt, bisher ohne Adler marschirt war, weil es sich denselben nach Napoleon’s Grundsatz erst auf dem Schlachtfelde verdienen mußte. Der Kaiser übergab dem Regimente nach der Schlacht den Adler mit eigner Hand, und sagte: „An der Spitze solcher Soldaten, kann man die Welt erobern.“ (Alla testa di tali soldati, si va in capo al mondo.)

Daß die Italiener übrigens sich ihres Werthes auch vollkommen bewußt waren, und die Anerkennung desselben, wo sie ihnen ungerecht entzogen wurde, sich auch wohl erzwangen, zeigt das eines Römers würdige Benehmen des Generals Pino, der, als der Vice-König von seinen

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_444.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2023)
  1. Wir entlehnen diese und alle übrigen Thatsachen, die wir hier aus dem russischen Feldzuge anführen, aus einem vor zwei Jahren erschienenen Werke; Gli Italiani in Russia, memorie d’ un Uffiziale Italiano etc. Italia, 1826, 4to.