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Das Ausland. 1,2.1828

können, legt sich auf den Boden, und deckt seinen Mantel über sich. Keiner hat einen bestimmten Platz zum Mittagessen oder zum Nachtlager: dazu sind wir zu gute Republikaner. Für den Dollar, den er bezahlt, hat jeder das Recht, zu essen und zu schlafen wo es ihm beliebt: nur darf er keinen stören, der bereits vor ihm einen Platz eingenommen. Es ist allgemein angenommen, daß ein Bett zwei Personen faßt, und Niemand ist so thöricht, sich um die Person seines Nachbarn zu bekümmern, so wenig wie man dieß im Parterre eines Theaters zu thun pflegt.

(Fortsetzung folgt.)

Whigs und Tories


(Schluß.)


Vorliebe für die Aristokratie des Grundeigenthums, Eifersucht auf neue Familien, auf den Handelsstand, auf das Bürgerthum – lauter Eigenschaften, die in dem Bilde eines echten Tory nicht fehlen dürfen. Man hat auch von den Whigs als von einer aristokratischen Partei gesprochen. Ohne Zweifel gebührt der Majorität in der Pairskammer von der Revolution bis auf die neueste Zeit der Name Aristokratie. Wenn man an die Beweggründe denkt, wodurch Classen der Gesellschaft sich bestimmen lassen, so erwartet man von einem englischen Oberhause nicht, daß es mehr Whig- als Torygrundsätze enthalte. Aber es ist hier ein Fall, wo man die Parteien von den Grundsätzen unterscheiden muß.

In Folge der selbstischen Neigung der Aristokraten gegen die Krone fühlten sich viele Lords zur Whigpartei hingezogen, weil, mit Ausnahme des größern Theils der Regierungszeit der Königin Anna, auf dieser Seite die Krone stand. Was war natürlicher, als daß sie ihre Torygrundsätze mit hinüberbrachten? Eben dadurch gaben sie aber dem Whigismus einen Anstrich von Aristokratie, der seinem Wesen durchaus fremd ist.

Es versteht sich von selbst, daß hier die Parteien nach ihrer ursprünglichen Idee, die Menschen mit dem dieser Idee entsprechenden sittlichen Charakter dargestellt sind, ohne Rücksicht auf jene schmählichen Erscheinungen, wie sie nur die Selbstsucht und die Kabale hervorbringt. Eine umfassendere Weltansicht, richtigere Begriffe von der Natur und den Zwecken der bürgerlichen Gesellschaft, ein Geist veredelter Sittlichkeit, ein Sinn für freie und männliche Geistesbildung – dieß sind eben so viele Attribute des Whigismus als Ansprüche desselben auf einen höhern Rang in der öffentlichen Achtung. Demungeachtet aber möchten wir es für keinen geringen Vortheil erklären, daß diese zwei Parteien oder vielmehr ihre Grundsätze sich der Masse der englischen Nation bemächtigten, wenn wir auch zugestehen, daß das Verhältniß ihrer Einwirkung auf diese Masse nicht immer das erwünschte war. Man kann sie mit den zwei Kräften vergleichen, welche die Planeten in ihren Bahnen halten; das Uebergewicht der einen Kraft würde diese Körper in das Chaos stürzen, das der andern sie auf das Centrum werfen.

Um diese Skizze zu verständigen, dürfen wir die Schattenseite nicht ganz vergessen. Es ist ein großer Unterschied, ob man dem Whigismus als Prinzip den Vorzug gibt, oder ob man ihm als Partei anhängt. Sofern die Whigs bei ihrem Grundsätzen beharrten – und im Allgemeinen kann man ihnen dieß Zeugniß nicht versagen – waren sie geeignetere Vertreter der großen Interessen des Bürgerthums als ihre Gegner. Aber durch die besondern Umstände unter den vier ersten Regierungen, durch Vorurtheil, Leidenschaftlichkeit, vor allem durch die Begierde sich in den Besitz der Gewalt zu setzen oder sich darin zu behaupten, gerieten sie mit den Tories oft in eine falsche Stellung, so daß eine Partei die Sprache der andern führte, und man die Grundsätze leider fast nur noch in Schriften fand, die sich auf einen höhern Standpunkt als den des Augenblicks zu erheben wußten. Unter dem König Wilhelm und der Königin Anna hatten die Whigs ihren eigenthümlichen Character als große Partei weit reiner erhalten als ihre Gegner; ein Umstand, der nicht nur den Verfall des Torysmus unter der frühern Regierung begreiflich macht, sondern auch die Möglichkeit der Revolution selbst, die mit den Akten,[1] auf welche sie sich gründet, eine feierliche Erklärung gegen das Glaubensbekenntniß der Tories war. Wenn die Tories damals nicht auf ihren alten Beweis, daß wenigstens der Buchstabe des Rechts für sie spreche, verzichteten, warum thaten sie nichts für ihre Ueberzeugung? warum ließen sie sich die Macht nehmen, etwas dafür zu thun? Gewiß haben sie dadurch nicht wenig vom Begriff ihrer Partei aufgeopfert. Und nur ihr Benehmen gegen die Regierung Wilhelm’s, die Verunglimpfungssucht, welche sie zu Handlungen veranlaßte, die den alten, wenigstens ihren eigenen, Begriffen gemäß, offenbare Eingriffe in die königlichen Prärogative waren? Sie lernten eine Kunst, die in Volksversammlungen Glück macht – die Rechte des Volks vertheidigen und dabei – ihre Vorrechte vergrößern. Wenn Freunde des verbannten Königshauses in einem solchen Ton um Beifall und Anhänger warben, so war dieß ganz in der Ordnung: den Jakobiten, der, um eine usurpirte Regierung zu stürzen, volksthümlicher Beweisquellen sich bediente, wird deswegen Niemand einen Jakobiner schelten. Seine Treue galt der Krone, aber der Krone auf dem Haupte des rechtmäßigen Monarchen. Hingegen der Tory, der sich dem neuen Souverain unterworfen hatte und dennoch gegen die Prärogative desselben in Opposition trat, machte sich eines unverantwortlichen Widerspruchs mit seinen Grundsätzen schuldig. Unstreitig fand dieser Fall unter der Regierung der beiden ersten George und noch in höherem Grade unter Wilhelm Statt, insofern die Trennung zwischen Tory und Jakobite damals noch schärfer war.

Indessen so gut auch die alten Namen Whig und Tory auf einzelne Individuen noch immer passen mögen, so würde man doch die politischen Parteien Englands im neunzehnten Jahrhundert damit nur sehr uneigentlich und sehr unvollkommen bezeichnen. Aber hohe Achtung für das Andenken Wilhelms III wird immer den echten Whigismus charakterisiren, wie einst den Torysmus Haß gegen den großen Befreier, jener Haß, der durch das Gift boshafter Verläumdungen den Strom der Geschichte trübte.

  1. The bill of recognotion in 1690, the repeat of the non-resisting test, the act of settlement, the oath of abjuration.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_342.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)