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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 77. 17. März 1828.

Elisabeth, Königin von England.

(Von K. F.)

Im Horizont der brittischen Geschichte tritt die Regierungsperiode der jedem Engländer unvergeßlichen Virgin Queen als hellleuchtendes Gestirn hervor. Hunderte haben die Herrschertalente, die glänzenden Siege, Thaten, Einrichtungen und die Staatsklugheit der Königin Elisabeth geschildert; wenigen aber gelang es, ihre Eigenschaften, Sitten, Gewohnheiten, häusliche Beschäftigungen – mit einem Worte – den Mikrokosmus ihres Selbst getreu aufzufassen, und unter diesen Wenigen ist kaum Einer, auf dessen Feder nicht Patriotismus oder Nationalhaß, politische Klugheit oder religiöses Vorurtheil bei der Angabe der Beweggründe ihrer Handlungen entstellenden Einfluß geäußert hätte.

In der neuesten Zeit, die man vielleicht, nach Maaßgabe der vorwaltenden Neigungen, das Zeitalter der Memoiren und Novellen nennen könnte, wo die Geschichte bei allen Ständen das lebhafteste Interesse fand, fehlte es nicht an Biographien und Denkwürdigkeiten der Königin Elisabeth. Obgleich, außer den Schriften eines Camden, Duncan Forbes, Peletier Marsy, Birch und Keralio, Melvil, der edle Freund und Beschützer der unglücklichen Maria Stuart, und Walsingham schon längst in ihren Memoiren anziehende Anekdoten aus dem Leben der Elisabeth geliefert, so weckte doch das neu erwachte Studium der Geschichte manches schöne Talent, welches sich an der Schilderung jener großen Königin versuchte. Unter den neuesten Schriftstellern verdient vorzugsweis Lucy Aikin genannt zu werden, welche sich durch ihre „Memoirs of the court of Queen Elizabeth,“ den Dank der spätesten Nachwelt erwerben wird. Doch diese befinden sich jetzt in den Händen aller Geschichtsfreunde, und es wäre um so unnöthiger, darauf besonders aufmerksam zu machen, als die Regierung der großen Königin durch den Vergleich von damals und jetzt mit jedem Tage ein stärkeres Interesse gewinnt.

Elisabeths Name erweckt noch jetzt unter den Engländern die Begeisterung des lebhaftesten Patriotismus. Das eiserne Scepter, woran Heinrich VIII seine Unterthanen gewöhnt hatte, wurde unter ihrer Regierung kaum gefühlt; denn es war in ihren und in des Volkes Augen der Hebel zur Vergrößerung des Areals und zur Beförderung des allgemeinen Wohlseyns. Ihre Falschheit nannte man Politik; ihre oft kindische Eitelkeit, bis in ihre letzten Lebensjahre für die schönste Frau in Europa gelten zu wollen, erschien als eine durch ihre großen Eigenschaften ausgelöschte Schwäche; ihre Gutmüthigkeit und Milde wogen eine gewisse Strenge und Willkür des Charakters auf. Der Ehrenname „Wiederherstellerin der englischen Seemacht und Königin der nördlichen Meere“ ward aber eben so oft durch den einer „Schwestermörderin“ und „Tyrannin“ verdrängt. Sie zitterte vor einem ungünstigen Urtheil des Publikums, und dennoch stärker als diesen von der Eitelkeit erzeugte Furcht war das stolze Bewußtseyn, jedem Urtheil trotzen zu können. Königin und Jungfrau bekämpften sich in ihr, so lange sie lebte. Weil Elisabeth Königin war, wollte sie die reizendste Frau seyn, und weil ihr Spiegel ihr sagte, daß die Jugendblüthen der Schönheit dahingewelkt, wollte sie die Rechte der Herrscherin geltend machen. Im Gefühle der königlichen Macht hätte sie eine Welt für die Ueberzeugung dahingegeben, als Weib von einem geliebten Manne geliebt zu seyn; aber im Besitze dieser Ueberzeugung würde sie die kleinste Grafschaft dem angebeteten Manne vorgezogen haben.

Ein wahres Geistesmeteor erscheint sie in der Geschichte. Wer wagt es, dasselbe chemisch zu analysiren? wer in des Herzens tiefste Tiefen hinabzutauchen, um dort die verborgenen Geheimnisse zu entfalten?

Ref. begnügt sich daher, aus einer wenig bekannten Quelle, die als Handschrift in einer der bedeutendsten Bibliotheken Deutschlands liegt, dasjenige mitzutheilen, was die Jungfrau-Königin mehr als Weib, denn als Herrscherin schildert und ihre Tugenden und Schwächen im Rahmen des häuslichen Familienlebens an das Licht stellt.

Die Geschichte überhaupt mag unter den Wissenschaften seyn, was die Landschaft unter den Gemälden. Den Vordergrund bildet die Gegenwart, und ist häufig starker Schlagschatten; den frischen goldenen Mittelgrund schöner Jahrhunderte nimmt nur allzuschnell das ahnungsvolle Grau der Ferne auf; Ketten von Begebenheiten oder Bergen, die das geübteste Auge nicht mehr scheidet, schließen den Gesichtskreis. Nun legen aber Quellenstudium und Kritik dem Menschen Fernröhren in die Hand, mit denen er manchen Gegenstand noch erfaßt, der dem unbewaffneten Auge längst entschwunden ist.

Mögen daher folgende Bemerkungen eines Augenzeugen, der vom Jahre 1596 bis 1600 in England, und zwar meist am Hofe lebte – so fragmentarisch sie auch sind – in das Publikum treten, und sowohl belehrend unterhalten, als unterhaltend belehren.

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_319.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)