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Das Ausland. 1,2.1828


allein ihre Urheber wurden sehr mit Unrecht der Unwissenheit oder der Verfälschung angeklagt, denn das flüchtigste Durchlaufen der Texte, welche diese Missionäre im Original schickten, hätte hingereicht, um Premare, Fouquet und die übrigen gegen den gehässigen Verdacht, den man gegen sie hegte, zu schützen.

Diesem kurzen Grundriß des Feldes das die Geschichte der Philosophie in China finden wird, sollte eigentlich eine Angabe der Quellen, woraus sie zu schöpfen hat, folgen; allein da Remusat im Begriff ist den Catalogen der chinesischen Bücher der Pariser Bibliothek drucken zu lassen, so ist es wohl besser den Leser darauf zu verweisen. Nur noch einige Worte über die gewöhnliche Methode der Chinesen in ihren philosophischen Werken. Nirgends sind soviel wir wissen, die Gegenstände, welche behandelt werden, nach den verschiedenen Theilen der Philosophie denen sie angehören, streng und wissenschaftlich geschieden. Die Aristotelische Methode hat erst spät, wenn je, in China einigen Einfluß ausgeübt; die Bücher von Confutse bestehen blos aus einer Reihe abgesonderter Sätze, in denen nur das Auge von Commentatoren einen Schatten von Verbindung und Folge entdecken konnte; Moral und Metaphysik, Cosmogonie und Psychologie sind beständig vermischt, oder auf eine gezwungene Art auf gleiche Principien zurückgeführt. Der Himmel, die Natur, der Mensch und seine Kräfte, Verhältnisse, Pflichten, die Politik, die Sittenlehre, die Administration, und bisweilen Wahrsagerei und Astrologie, alles bildet ein Ganzes, oder vielmehr ein Chaos, dem erhabene Gefühle und Gedanken, und vortreffliche Maximen einen gewissen Reiz verleihen, dessen Grund aber mehr in der Wahl der Ausdrücke und Bilder als in der Natur und dem Inhalt der Gedanken und Betrachtungen liegt. Immer jedoch bleibt die Reinheit von Fabeln ein eigener und ehrenvoller Zug in diesen alten Werken. Die unter dem Namen Tse bekannten Schriftsteller, welche man, nach dem Beispiel der Sekte von Confutse, sonderbarerweise ketzerische Philosophen genannt hat, befolgen ungefähr dieselbe Methode, und suchen ihren vielumfassenden Gegenstand zu beherrschen, indem sie ihn in kleine besondere Abhandlungen zertheilen, über Vernunft, Wahrheit, die Welt, Zeit, Phänomene, Seele, Leben, Tugend u. s. f. Die buddhistischen Werke behandeln gewöhnlich einen religiösen, liturgischen oder contemplativen Gegenstand; allein es ist undenkbar, daß die ungeheure theologische Sammlung, welche den Titel Gandschur führt, und die vielleicht nur von Rußland aus für Europa zugänglich werden kann, nicht großen Theils metaphysischen Inhalts sey. Tschu-hi, als ein vernünftiger und methodischer Schriftsteller, befolgt einen systematischeren Plan: er theilt sein Werk in zwei Theile; der erste handelt von den Principien, der Natur, dem Schicksal, der Vernunft, der Weltordnung und der Tugend; der zweite von den Aeußerungen der Naturkräfte , vom großen Gipfel, vom Aether und der Materie, von der Zeit, der Astronomie, der physischen Geographie, der Meteorologie, den Genien und Dämonen, den beiden Seelen, dem Cult, der Politik, und schließt mit einer Critik der früheren Philosophen. Eine ähnliche und vielleicht noch strengere Methode ist in dem großen naturphilosophischen Werke beobachtet, dessen oben gedacht wurde. Alle Stellen der classischen Schriftsteller und die alten Sagen werden angeführt, und nach dem System des Erklärers gedeutet; die ganze Methode der neuern Schriftsteller besteht in Citationen und Erklärungen, und auch wenn sie eine neue Meinung aufstellen, suchen sie sich auf eine bedeutende Autorität dabei zu stützen.

Dieß ist die, wenn gleich höchst unvollkommene Skizze eines Feldes für neue Untersuchungen, das Reiz für diejenigen haben sollte , welche das Gemälde der Geschichte des menschlichen Geistes vervollständigen wollen. Diese Aufeinanderfolge verschiedener Ansichten, welche sich im äußersten Osten, ohne einen sichtbaren Einfluß des Abendlands, entwickelt hat; diese pythagoräischen und platonischen Lehren vor Pythagoras und Platon; diese Stoiker welche die Ordnung zu ihrem Grunddogma gemacht, und die Wissenschaft und Tugend klug verbunden, und so ein Reich auf die Principien ihrer Philosophie gebaut haben; diese Idealisten, welche ihren allegorischen Götterdienst bei zwanzig verschiedenen Völkern eingeführt, und die einen gebildet, die andern verbildet haben; diese neuen Epikurär welche weder Demokrit noch Epikur gekannt; diese verschiedenen Schulen und Meinungen, welche sich an dem großen Räthsel der Welt erschöpft haben, sind ein schöner Gegenstand für Studium, Nachdenken und Bearbeitung. Wir dürfen hoffen, daß nicht durch Nachläßigkeit die zahlreichen Quellen über diese große Lücke in der geistigen Geschichte der Menschheit, wenigstens diejenigen, welche in den europäischen Bibliotheken sind, und durch ein Studium weniger Jahre durchaus zugänglich werden, unbenützt bleiben. Die Uebersetzung des Lün-jü, durch Herrn Dr. Schott (Halle 1826 8.) läßt hoffen, daß die Gelehrten sich diesem Studium jetzt mehr zuwenden, und sein Buch erhält dadurch, als ein Vorläufer bedeutenderer Arbeiten, einen Werth, den ihm sein eigenes Verdienst kaum geben möchte. Er hat einen Versuch gemacht den Theil des Lün-jü, den Marshman ins Englische übersetzt hatte, ins Deutsche zu übertragen, was vernünftig war, doch hätte er wohl besser gethan, nach den lateinischen Uebersetzungen von Couplet oder Noël, die er nicht gekannt zu haben scheint, zu arbeiten. Da diese Bücher in der lateinischen Ausgabe selten, und auch die französischen Uebersetzungen derselben in Deutschland nicht sehr verbreitet sind, so hätte er etwas verdienstliches gethan, wenn er die sex libri classici aus Noël übersetzt hätte. Freilich würde er noch besser thun, wenn er eine Zeitlang die chinesische Literatur selbst studirte, besonders da der Umschlag seines Buchs beweist, das er wenigstens die Charaktere dieser Sprache lesen gelernt hat, so daß er sich in den Stand setzte, selbst die Urtexte und die Commentare zu lesen, um den Gegenstand dieser Grundzüge neu und ausgedehnt zu behandeln; denn die Kenntniß des Gegenstands ist natürlich die erste Bedingung einer solchen Arbeit, und sie ist Deutschen vorbehalten, denn gewiß lernt ein deutscher Philosoph leichter Chinesisch, als ein französischer oder englicher Sinologe Schelling, Fichte oder Hegel verstehen lernen könnte.

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_268.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2023)