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Das Ausland. 1,2.1828

erhalten. Endlich erheben sich die Ufer Candias vor den Blicken unserer Reisenden, und der griechische Pilote macht, indem er sich dem Muselmanne freundlich nähert, ihm bemerklich, wie zuverlässig seine Wissenschaft sey, und unter welch glücklichen Auspizien sie ihre Fahrt begonnen hätten. „Wir haben Candia vor uns – sagt er – die lachende Insel, von einem großen Volke bewohnt, längst schon vor den Zeiten der Hegire.“ „Vor der Hegire!“ denkt der Muselmann, indem er einen Blick der Verachtung auf den Navarchen wirft. Dieser aber läßt sich nicht irre machen. „Köstlicher giebt es nichts als den Wein von Candia; Ihr müßt wissen, daß hier Jesus Christus selbst die Reben pflanzte. Und die Weiber! o die Weiber! das sind Huris, Engel, Heilige. Hier hat der heilige Paulus gepredigt. Zwar ist es wahr, er sagt nicht besonders viel Gutes von ihnen. Er nennt sie Wüstlinge, faule Bäuche und Lügner.“ Seyd nicht Ihr selbst aus diesem Lande gebürtig? fragt Ismaïl mit ernsthaftem Gesichte. Panajotti fühlt die Beleidigung, aber steckt sie ein, ohne ein Wort zu sagen. Gern hätte er Ismaïl und sein Schiff zu allen Teufeln der christlichen Hölle geschickt; aber er befand sich selbst mit auf diesem Schiffe, und so begnügt er sich mit einem Seufzer oder einem unterdrückten Fluch.

Die Segel schwellen in günstigem Winde, der immer stärker wird. Alles scheint dem Muselmann einen glücklichen Erfolg zu versprechen, welcher, seine dreifachen Reinigungen und seine vorgeschriebenen Gebete verrichtend, alles Gott anheimstellt, der, wie es ihm gefällt, die Stürme bändigt oder losläßt.

Wie heißt dieser Seehafen, wo sein Schiff Anker wirft? Was für graue Dächer sind dieß? was für weiße Mauern? welch furchtbare Festungswerke! „Dieß ist Malta – antwortet der Grieche – eine berühmte Insel und eines der Bollwerke der Christenheit.“ Ismaïl hoffte sogleich ans Land steigen zu können; er kannte die Vorschriften der Quarantäne nicht, und vernahm nicht ohne Verdruß, daß er über einen Monat lang in einer Art Gefangenschaft am Bord seines Fahrzeuges zu bleiben habe. „Es geschieht dieß“ – sagt ihm der befehlshabende Offizier des Seehafens – „um die Insel vor der Pest zu schützen.“ „Die Pest“ – dachte Ismaïl – „ist der Bote Allahs; sie ist göttlich! Die Quarantäne ist ein Werk der Ungläubigen; sie ist verflucht.“

Verdammt zu dieser unfreiwilligen Zurückgezogenheit, blieb ihm nichts zur Unterhaltung übrig, als seine Pfeife, sein Koran und Panajottis Erzählungen. Als aber der Mond hinter den Wogen heraufstieg und auf den weißen Felsen wiederglänzte, als der kühlende Wind des Abends in den Segeln spielt, und die Wohlgerüche der Citronen- u. Orangenbäume, der Myrthen, Geranien und Rosen, mit denen die Insel bedeckt ist, über das Fahrzeug trug, da erglühte die Seele des Muselmannes, und mit Begeisterung sprach er sein Sâlat und Ala-Tema[1]. Von fernher tönte durch die stille Nacht eine Mandoline, deren silberne Klänge am Ufer wiederhallten; im tiefen Blau der Wellen des Mittelmeers glänzten und spielten die Sterne; die Glocken der Kirchen und Kapellen riefen zum Angelus und die heiligen Jungfrauen sangen die Litaneien der Maria. „Sâlat! Sâlat!“ rief der entzückte Muselmann; „Allah ist groß, und Mahomed sein Prophet!

„Panajotti!“ sagte er endlich, „den Tarikh.“[2] Der Grieche schmunzelt, und beginnt nun, begeistert von dem herrlichen Himmel und ihrer pittoresken Lage seine Erzählungen, in denen sich Feenwesen, Christenthum, einige Erinnerungen aus Tausend und Eine Nacht und einige Fragmente der wirklichen Geschichte wunderlich durcheinander mischen. Er sagte ihm, wie die Insel Malta einst aus einer Mantelfalte Gottes gefallen, wie dann die heilige Jungfrau einmal hier angelandet, und darauf die ganze Insel, zum Andenken an diese heilige Reise, weiß geworden sey, und noch hundert dergleichen erbauliche Mährchen der Jesuiten. Dann erzählte er ihm von den tapfern Ritter St. Johann’s. „Welches?“ fragte Ismaïl; „des Sohnes des Zacharias?“ Panajotti, dessen theologische Gelehrsamkeit nicht so weit reichte, stockte einen Augenblick, und eilte dann weiter zu kommen, indem er schnell von dem giftigen Drachen anfieng, und von dem Ritter der ihm erlegte, und dem St. Michael selbst den Arm geführt hatte. „Deine Heiligengeschichten machen mir Langeweile,“ sagte endlich Ismaïl. Nun erzählte der Pilote, wie die Türken Constantinopel eroberten und Rhodus. Der stolze Osmanli strich mit der rechten Hand wohlgefällig seinen langen, buschigen Bart, während die linke freundlich mit dem dunkeln Schnurrbart, der über die Lippen hing, spielte. Als aber der Grieche fortfuhr, und die ritterlichen Helden schilderte die des unüberwindlichen Solimans vereinigter Macht Trotz boten, als er vollends die Niederlage des großen Kaisers und den Sieg der Christen erwähnte, da zogen sich die dichten Augenbrauen Ismaïls drohend zusammen, aber dennoch blieb sein Stolz Meister über seinen Unwillen, und er rief in strengem Tone: „Nazarener fahre fort, fahre fort!“ Panajotti gehorcht. Er beginnt von Ali Bonaparte, und wie auch er Malta eroberte. „Eimah! eimah![3]“ murmelt der Türke, indem ein Lächeln ihm entschlüpft; „die Erde auf der wir sind, ist nichts als Täuschung.“ Endlich schließt der Grieche mit der Erzählung, wie die Engländer diesen Schlüssel des Meeres aufs neue in Besitz nahmen, und so die ruhmgekrönte Insel des Kreuzes und der Tapferkeit zum Lagerplatz ihrer Kaufmannsballen umwandelten.

„Eben zu diesen Engländern will ich nun!“ erwiederte der Muselmann; „zu den Seïds d’Al-Gezira-el-Hadra.[4] Allah ist barmherzig! wir wollen sehen, ob es mir bestimmt ist dahin zu kommen, oder ob wir in dem großen Meere unsern Tod finden sollen!“

  1. Sâlat, ein religiöser Ausruf der Begeisterung und Freude; Ala-Tema, das Gebet des Abends, das letzte des Muselmanns.
  2. Die Abend-Erzählung.
  3. Sonderbar! sonderbar!
  4. Die grüne Insel, England.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_258.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)