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Das Ausland. 1,2.1828


Nicht bloß die Maler, welche mit ihm Frankreich verherrlichten, haben sich, mit Ausnahme von zweien, sämmtlich nach seiner Schule gebildet, auch die ausgezeichnetsten Bildhauer und Kupferstecher Frankreichs haben ihre Richtung und die Ausbildung ihres Talents seinen Lehren zu verdanken.

In dem Augenblick, wo David’s Ruhm seinen Culminationspunkt erreichte, fingen mehrere neue Talente sich zu zeigen an. Gros, Gerard und Girodet, in dem Atelier von David gebildet, Guerin, ein Schüler Regnault´s, und Prudhon, der selbstständig sich entwickelt hatte, zogen zugleich die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich - Girodet und Guerin, indem sie die Richtung der Schule verfolgten, Gerard, Gros und Prudhon, indem sie sich unabhängig neue Bahnen brachen. Aber auch Girodet und Guerin, obgleich sie David´s systematischen Gang annahmen, beschlossen doch jeder mit eigenthümlichem Zweck und mit verschiedenen Mitteln über die Grenze hinauszugehen, an welcher der Stifter ihrer Schule stehen geblieben war. Der erste suchte das Ideal der Schönheit in der Form, der zweite im Ausdruck. Der schlummernde Endymion ist dasjenige unter Girodet’s großen Werken, in welchem er dem Ziele, das er sich vorsteckte, am nächsten gekommen ist. Formen von einer bewunderungswürdigen Schönheit, denen aber zuweilen die Biegsamkeit (souplesse) fehlt, Köpfe‚ in denen der griechische Ausdruck nicht selten übertrieben ist, die aber dennoch einen großen Charakter behalten, zeichnen seine ersten Arbeiten aus. In seinen spätern Produkten sieht man zu sehr das Studium und selbst die Affectation.

Guerin, sein Nebenbuhler, trat zuerst mit dem Gemälde Der Rückkehr des Marcus Sextus auf. Unter einer andern politischen Ordnung der Dinge hatte er, wie einst der Schöpfer des Brutus, die Ideen der Zeit unter antiken Formen dargestellt. Dieses Gemälde erhielt einen unermeßlichen Beifall; und obgleich die Wahl des Gegenstandes einen bedeutenden Antheil an diesem Triumphe hatte, so war derselbe doch gewiß durch den wahren und tiefen Ausdruck der Köpfe und durch eine der großartigsten Compositionen wohl verdient. Das tiefe Gefühl und das Gemüth Guerin’s finden wir in allen seinen Werken wieder. Seine Phädra, seine Andromache, seine Dido, sein Aufstand von Cairo tragen sämmtlich dieß edle Gepräge. Aber da er es sich allzustreng zum Gesetz machte, sich nie von der Zeichnung der Antike zu entfernen, so hat er sich ungeachtet seiner Vollendung, um die Mannigfaltigkeit der Natur zu ersetzen, die ihm abgeht, genöthigt gesehen, den Ausdruck seiner Figuren zu übertreiben und zu Ansichten seine Zuflucht zu nehmen, die mehr geistreich als wahr sind.

Zu der Zeit, als Gros zuerst im Gebiete der historischen Malerei auftrat, hatte die abstrakte Idee der Freiheit, welche in den ersten Zeiten der Revolution herrschte, bereits der Trunkenheit des militärischen Ruhmes Platz gemacht. Gros theilte diesen Enthusiasmus; er malte die Schlachten der Republik, und die Energie der Scenen, welche seine Gemälde wiedergaben, scheint seinen Geist durchdrungen zu haben. Er glaubte nur der Schule David’s zu folgen, als er bereits das originellste und freiste Talent entwickelte. Ein bewunderungswürdiges Colorit, ein Leben in der Composition, dem nur Rubens Meisterwerke gleich kommen, und eine Freiheit in der Ausführung, die sich über alle Theile seiner ungeheuren Arbeiten gleichmäßig verbreitet, dieß sind die Eigenschaften, welche seine Schlachten von Abukir und von Nazareth und die Pestkranken von Jaffa an die Seite der schönsten Produktionen der Kunst stellen.

Als das Kaiserthum auf das Consulat folgte, wurde David zum ersten Maler des Kaisers ernannt; aber sein Talent konnte in bloßen Prunkgemälden sich nicht entfalten; er blieb unter seinem Namen. Auch das schöne Talent von Gros fand sich hier eben so wenig in seiner Sphäre. Er hatte mit energischer Wahrheit die Soldaten der Republik dargestellt; die Höflinge des Kaiserreiches behielten unter seinem Pinsel zu oft die Haltung von Emporkömmlingen. Um diesen Hof zu malen bedurfte es den ganzen Geist, den ganzen Geschmack eines Gerard.

Auch Gerard war zuerst während der Revolution hervorgetreten, unter dem doppelten Einfluß der classischen Schule und des politischen Enthusiasmus dieser Epoche. Sein Belisar und eine Reihe von Gemälden, welche Volksaufstände darstellten, hatten den Umfang seines Talents gezeigt; begabt indessen mit dem feinsten und gewandtesten Geiste, wußte er sich in alle Formen zu schmiegen. Alles kündigt in seinen Werken einen Mann an, der sich ausgezeichnet hätte, welche Bahn er auch verfolgt haben möchte. Andere Maler haben Gemälde von glänzenderem Colorit und größerer Wirkung hervorgebracht; aber niemals ist der Schöpfer der Schlacht von Austerlitz und des Einzuges Heinrich’s IV in der Kunst übertroffen worden, eine große Scene zu combiniren und ein großes Ereigniß mit Würde darzustellen. Alle Schwierigkeiten mit bewunderungswürdigem Takt vermeidend, nie die Grenzen überschreitend, welche die Kunst anerkennen muß, zeigt Gerard sich durchaus als den Maler der Gebildeten in der feinen Welt. Man sieht ihn in seinen zahlreichen Porträts seine eigene Anmuth, seine eigene Würde Personen leihen, die nicht selten beider ermangelten, ohne die Individualität jener Personen zu verwischen. Eine Sammlung seiner Porträts würde eines der kostbarsten und wichtigsten Denkmäler der Geschichte seiner Zeit seyn.

Prudhon's Talent wurde während seines Lebens wenig anerkannt. In entschiedenem Gegensatze gegen die classische Schule zog er sich den Vorwurf zu, noch zu sehr der alten Schule Boucher’s anzuhängen. Vielleicht war ihm von dieser Schule jenes gesuchte Graziöse geblieben, das an Affektation grenzt; aber die lieblichste Empfindung, eine stets poetische Composition, stets neue und originelle Ideen haben ihm nach seinem Tode einen Ruhm gebracht, den Neid und Vorurtheil ihm bis dahin bestritten hatten.

So haben von den fünf berühmtesten Malern nach David nur zwei die Bahn verfolgt, die er vorgezeichnet hatte; und da auch sie ihren Arbeiten einen eigenthümlichen Character gaben, waren sie die Fortsetzer und nicht die Copisten seiner Schule, deren fortschreitende Entwicklung mit ihnen endete, obwohl auch noch andere Maler


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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_254.jpg&oldid=- (Version vom 16.2.2023)