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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 61. 1. März 1828.


Die Gemäldeausstellung im Louvre zu Paris im Jahre 1827. [1]


Die alte französische Malerschule nahm ihren Ursprung unter der Regierung Ludwigs des XIV; beinahe von ihrem ersten Beginn an in eine Akademie vereinigt, zeigte sie sich bald – wie jede Corporation - handwerksmäßig und feindselig gegen überlegene Talente; Männer von Genie, wie Poussin und le Sueur, die in ihren Werken andere Eigenschaften suchten, als eben nur Leichtigkeit in der Handhabung des Pinsels und geschickte Ausführung, stieß sie von sich zurück, und so entfernte sie sich immer mehr von der historischen Wahrheit und von der Nachahmung der Natur, und erreichte endlich gegen das Ende der Regierung Ludwigs des XV den höchsten Grad des Verfalls.

Damals fing die große Bewegung an, welche wir die Französische Revolution nennen; die Künste konnten nicht ermangeln, daran Theil zu nehmen. Das Publikum, das sich mit Widerwillen von den Gemälden abwandte, in denen der schlechte Geschmack sich nicht weniger in der Wahl des Gegenstandes, als in der Art, wie derselbe dargestellt wurde, offenbarte, verlangte zuvörderst mehr Ernst und Würde in den Compositionen. Vien, Greuze und Vincent waren die ersten Reformatoren. Da die Reaction gegen eine Schule gerichtet war, deren Hauptfehler die Affektation einer gewissen Grazie und der gänzliche Mangel an Wahrheit waren, so mußte man vor allem suchen, sich der Natur zu nähern und mehr Simplicität in den Ausdruck zu legen. Die Gemälde Greuze’s bezeugen, daß dieses Streben keinesweges erfolglos war. Seine Werke haben noch etwas von der Unkorrektheit seiner Vorgänger; aber an Natürlichkeit und Naivetät sind sie nicht übertroffen worden.

Wie bei jeder Reaction schritt auch hier der Neuerungsgeist unaufhaltsam vorwärts, bis er die Grenze des entgegengesetzten Extrems erreicht hatte. Nachdem die französische Schule die Wahrheit der Natur gewonnen hatte, verlangte sie die äußere Vollendung und bald die Schönheit des Ideals. David, welcher in den Versuchen, mit denen er aus der Schule Vien’s hervortrat, sich nicht von der Linie entfernt hatte, die allen seinen Zeitgenossen zur Richtschnur diente, entfaltete zum erstenmale die wahre Tendenz seines Genies in seinem Belisar. Nach einem zweiten Aufenthalte in Rom, wo er sich mit glühendem Eifer dem Studium der Antike hingab, componierte er seinen Schwur der Horatier Eine große Correctheit der Zeichnung, in welcher die Natur noch nicht der Nachahmung der Antike aufgeopfert ist, eine Composition von der edelsten Simplizität, worin die Begeisterung des Künstler sich indessen bereits mit der Anordnung des antiken Basreliefs in Einklang gesetzt hat, charakterisieren dieses schöne Werk. Wir finden jedoch in der fortschreitenden Entwicklung der Ideen des Künstlers einen nicht geringen Abstand dieses Gemäldes von der Auffassung der Sabinerinnen, die eine reine Wiedergeburt der Formen der griechischen Sculptur und der wahre Typus des sogenannten classischen Styles sind.

Diese Revolution in der Kunst ging in dem Schoße einer politischen Revolution vor sich, die gleich jener die die Ansichten, Ideen und Institutionen von Griechenland und Rom zu ihrem Vorbilde genommen hatte. Der Republicanismus der Alten war an der Tagesordnung; man mischte ihn in alles, man wollte ihn auf alles anwenden. Alle Gemälde waren griechisch oder römisch, entweder durch den Stoff, oder doch wenigstens durch das Costüm. Bei den antiken Formen der Malerei, wie der Gesetzgebung, sah man ausschließlich die Idee der antiken Freiheit herrschen. David, dessen Talent vorzüglich das der Reflexion war, arbeitete unter diesem doppelten Einfluß. - In dem Schwure vom Ballhause, in dem Tode von Barras, in den Gemäldem die Marat und Lepelletier darstellen, hat er den Ideen seiner Zeit die Formen der antiken Zeichnung geliehen; wie er in seinem Schwure der Horatier, in seinem Brutus und in den meisten Compositionen, die nach seinem Tode ausgestellt worden sind, antiken Gegenständen das Gepräge derselben Ideen gegeben hatte. David war kein Colorist und im Allgemeinen fehlt es seinen großen Compositionen an Leben; aber solange er unter dem Einflusse jener politischen Leidenschaften stand, die sein Talent entwickelt und sein ganzes Leben bewegt hatten, trugen alle seine Gemälde den Stempel einer seltenen Kraft. Wenn man die unermeßlichen Schwierigkeiten bedenkt, welche das Talent dieses großen Künstlers in wenigen Jahren überwunden hatte, wenn man die so edle und wahre Zeichnung der Horatier mit den unförmlichen Versuchen seiner Vorgänger vergleicht, und sieht, wie fast alle gleichzeitigen Maler seine Bahn verfolgen und weit hinter ihm zurückbleiben, so kann man nicht umhin, schon deshalb David als einen seines großen Namens vollkommen würdigen Mann anzuerkennen, weil er beinahe ein halbes Jahrhundert hindurch allen Erzeugnissen der Kunst sein Siegel aufgedrückt hat.

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_253.jpg&oldid=- (Version vom 16.2.2023)
  1. Aus dem ersten Hefte des neuen, unter vielversprechenden Auspizien erscheinenden Journals: Rèvue française.