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Das Ausland. 1,2.1828

Minister des Innern, unterstützt von Herrn Robinson, Kanzler der Schatzkammer, und von Herrn Huskisson, Präsidenten des Handelsbureaus, Herr Canning das Haus der Gemeinden, Großbritannien und Europa auf jedes seiner Worte aufmerksam machte. Man kennt die nachfolgenden Ereignisse; alle von der Zeit herbeigeführten Veränderungen haben jedoch das Wesen der im Jahr 1826 erwählten Kammer nicht so sehr entstellt, daß die Schilderung des Parlaments von 1825 nicht gleichfalls auf dieselbe passen sollte. Der Verfasser schildert die Sitten der Kammer, und diese wechseln weniger schnell als die politischen Systeme. Wir lassen den Verfasser selbst reden.

Die St. Stephans-Kapelle.

Die St. Stephans-Kapelle ist, während der Hälfte des Jahres, der große Gegenstand aller Unterhaltung des brittischen Publikums; und immer findet sie Mittel, die Menschen, auch während der andern Hälfte, zu nöthigen, sich mit ihr zu beschäftigen, sie nicht zu vergessen. Der kleinste Theil dieses Publikums weiß umständlich, wie dieser Ort aussieht, und auf welche Art die Geschäfte dort verhandelt werden. Nimmt man an, daß der Taubenschlag, den der silberne Schlüssel einer halben Krone dem Publikum öffnet, jeden Abend von neuen Zuhörern angefüllt würde, so würde man hundert Jahre brauchen, ehe die lebende männliche Bevölkerung den Ort besucht hätte; wollte man noch die Frauen und Kinder hinzufügen, so erforderte es eine noch viel längere Zeit.

Das Volk weiß nichts von dem Hause der Gemeinen, und macht sich Begriffe von ihm, die eben so gut auf Dinge im Monde passen möchten. Es sieht beide durch Ferngläser, die nichts weniger als ungefärbt sind, sondern den Gegenständen die häßlichste Farbe geben, sie der einen Hälfte nach vergrößern, während sie sie in der andern Hälfte verkleinern, und beide Seiten vollkommen entstellen. Man nehme die Morgenzeitungen, in welchen von einer langen Debatte Nachricht gegeben wird, und vergleiche sie miteinander, so wird man ein und dieselbe Rede auf so verschiedene Art angegeben finden, daß ein Leser, der nur eins dieser Blätter liest, durchaus eine ganz andere Vorstellung von dem Redner haben muß, als ein anderer Leser, der nur ein anderes Journal zu Rathe gezogen hat. Hierzu kommt noch, daß die allgemeine Uebersicht, die selbst von unsern besten Zeitungen gegeben wird, dem Ganzen, wie es in der Wirklichkeit war, gewöhnlich sehr unähnlich ist.

Nimmt man die Kammer, wie sie in den Berichten der Zeitungen vorgestellt wird, so kennt man sie ungefähr so genau, als man auf dem Meere den Wallfisch oder die amerikanische Seeschlange kennt: man sieht den Rachen, hört das Brausen der Nasenlöcher, bemerkt die Bewegung des Schweifes, die Schlangenwindungen; die große Masse des Thiers bleibt aber unter dem Wasser verborgen. Man hat Burdett für die Tage, wo man Parade machen will, Brougham, wo es auf Thaten ankommt, Huskisson und Robinson für die Geschäfte, Herrn Canning um die Fliegen zu verscheuchen, und Herrn Hume[1], den man wie den Bettler nicht loswerden kann. Diese Herren, getrennt oder vereint, sind noch nicht die Kammer der Gemeinen, diese mächtige Maschine, welche das Volk repräsentirt und den Beutel des Landes in Händen hat; sie sind die Culminationspunkte, die Thürme der Stadt, oder die Mondberge, und geben so wenig einen Begriff von dem ruhenden, festen Substrat des Parlaments, als die Thürme von London den Beschauer mit den Häusern bekannt machen, welche die ganze Bevölkerung und ihren Reichthum enthalten. Dieses Substrat besteht in dem, was man die Weisheit des Parlaments nennt. Da es nun in seinen individuellen Elementen nicht besonders weise ist, so spricht man von collektiver Weisheit, um anzudeuten, daß sein größtes Verdienst in der Aneinanderfügung besteht. Kurz, das Parlament ist weise, gerade wie es eine Staatsperüke auch ist; das einzelne Haar bedeutet nichts, aber vereint geben sie dem Haupte, das sie zieren, ein Ansehen von Klugheit und Gravität, den in solchem Grade selbst der Vogel der Minerva nicht besitzt. Die Individuen, welche das Parlament bilden, erzeugen um kein Haar anders die collektive Weisheit. Sir F. Ommaney ist gerade nicht der verständigste Mann in England, Hr. Dundas ist kein Solon des neuen Athens, Hr. Wynne[2] ist kein Merlin des Fürstenthums (Wallis) und Hr. Richard Martin besitzt nicht die ganze Viehliebe (philobrutosity)[3] des Bruderreichs; gleichwohl bilden sie, durch Addition oder auch durch die Division[4], ein Element und zwar ein ganz gutes Element der collektiven Weisheit, d. h. derjenigen Weisheit, deren Rauch selten durch die Rauchfänge der Zeitungen geht, außer wenn sie die Namen der Majorität oder Minorität anführen.

(Schluß folgt.)
  1. Joseph Hume, Abgeordneter für Aberdeen, halb radikaler Whig, ist durch seine vielen und langen Reden bekannt, so wie durch die Rechnungen, die er vorlegt, und durch die Auskünfte, die er verlangt; nützlich ist er durch eine kleinliche Nachspürung, aber wenig genau in seinen Anführungen und Rechnungen.
  2. Sir F. Ommaney sitzt nicht mehr im Parlamente. Hr. W. Dundas ist Abgeordneter von Edinburg, dem neuen Athen. Die Familie Dundas, deren Haupt Lord Melville (gegenwärtig Präsident des Controlle-Bureaus), wurde durch die großen Staatsämter merkwürdig, die sie der Gunst des Herrn Pitt verdankt. Die Wynne sind eine der größten Familien des Fürstenthums Wallis. Es gibt im Parlament mehrere Mitglieder dieses Namens.
  3. Das Wort philobrutosity ist von der Erfindung des Verfassers. Hr. Richard Martin, Parlamentsglied für die Grafschaft Galway in Irland, ist durch den mitleidigen Eifer bekannt, womit er das Interesse der Hausthiere gegen die Gleichgültigkeit oder Grausamkeit ihrer Herren vertheidigt. Er hat zu der Parlamentsakte im dritten Jahre Georgs IV beigetragen, wodurch jede den Pferden, Mauleseln, Kühen etc. zugefügte Härte, als Vergehen anerkannt und mit einer Geldbuße bestraft wird.
  4. Ein Wortspiel, das sich auf die Art in der Kammer zu stimmen bezieht. Soll nämlich gestimmt werden, so theilt sich die Kammer in zwei Theile, und man zählt die Mitglieder jeder Seite. Dieses Verfahren nennt man die Division.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_236.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)