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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 55. 24. Februar 1828.

Skizzen aus St. Petersburg[1].


Auf die Beobachtung der Vorschriften für Zucht und Ordnung im Militär wird mit großer Strenge gewacht. Diese Strenge erstreckt sich auf die Kleidung der Offiziere; keiner darf auf Maskenbällen sich maskiren, ja nie öffentlich anders als in Uniform erscheinen.

Der Kaiser Alexander befolgte selbst auf das Genaueste diese Vorschriften der Disciplin, und duldete bei Andern nicht die unbedeutendste Uebertretung derselben. Eines Tages bemerkte er, daß bei einem Offizier vom Generalstab der Garde, der ein naher Verwandter des Fürsten Galitzin war, die Ecken seines Hemdekragens über die Halsbinde hervorragten; während nun der Monarch mit ihm sprach, sah man, daß die Majestät mit eigener Hand diese Ecken unter die Binde schob. – In jeder, selbst der rauhesten Jahreszeit[2] wohnte Alexander Morgens der Parade bei, indem er in einfacher Uniform gekleidet war, und dadurch jeden Offizier zwang, sich ebenfalls nicht wärmer zu kleiden. Nach der Parade ging er gewöhnlich zu Fuß aus, wo denn die Offiziere auf ihrer Hut seyn mußten, um nicht vom Kaiser bei irgend einem Versehen überrascht zu werden.

Alexander besaß nicht jene kriegerischen Eigenschaften, welche die Soldaten zur Begeisterung für den Feldherrn hinreißen; gleichwohl verstand er die Kunst, sich bei ihnen beliebt zu machen. Der nachfolgende Zug beweist, daß er nichts vernachläßigte, seine Popularität bei der Armee zu vergrößern.

Nach dem Feldzuge in Frankreich ließ der russische Senat, dem Kaiser zu Ehren, bei dem berühmten Lustschlosse von Tzarskoie-Selo einen Triumphbogen, durchaus von Bronce, errichten. Alexander behielt sich vor, die Inschrift selbst anzugeben. Nach der Rückkehr nach Rußland las die kaiserliche Garde, als sie durch Tzarskoje-Selo marschirte, und sich dem Siegesdenkmale nahte, folgende mit goldenen Buchstaben unter dem Fries angebrachte Inschrift: „Meinen lieben Waffenbrüdern.“

Alexander gefiel sich darin, in einfachem Militär-Ueberrocke durch die Straßen der Hauptstadt zu gehen. Oft wenn er einem Fremden begegnete, blieb er stehen, und sprach mit ihm, wobei denn seine Fertigkeit in mehreren Sprachen, es ihm leicht machte, seine Neugierde zu befriedigen. – So war es auch nicht selten, daß man ihn Abends in Privatgesellschaften traf, die er ohne allen Zwang besuchte. Einfach ohne Ziererei, artig gegen jedermann, und an der Unterhaltung wie an dem Vergnügen der Gesellschaft theilnehmend, bewies er hier, daß der mächtigste Mann des Reiches zugleich der gefälligste und liebenswürdigste war.

Der Militärstand übt in Rußland ein großes Uebergewicht aus, und genießt großer Vorrechte; daher ist die Scheidungslinie zwischen ihm und dem Kaufmannstande merklicher als in irgend einem andern europäischen Lande. Die Abneigung dieser beiden Klassen gegeneinander ist so groß, daß man selten an demselben Tische, oder in derselben Gesellschaft Militärpersonen und Kaufleute findet.[3]

Wie groß auch der Eifer ist, mit welchem sich die höheren Classen in die militärische Laufbahn werfen, so findet man doch unter ihnen Männer, welche die allgemeine Vorliebe für diesen Stand keineswegs theilen. Eines Tages unterhielt man sich in einer Gesellschaft von der Schönheit einer Heerschau, die der Kaiser angestellt hatte. „Alles dieses bedeutet nichts,“ sagte ein Herr, der unfern dem Ofen stand, und den Kopf mit republikanischem Stolz in die Höhe richtete; „sprecht mir lieber von einer Volksversammlung.“ Darauf erinnerte er an die englischen Wahlen, die gerade damals geendet waren, und fuhr fort; „Wie sehr beneide ich das Loos des Sir Francis Burdett, dem dreißtausend Bürger folgen. Dies allein nenne ich eine schöne Parade!“

  1. Mémoires de Don Juan van Halen. T. II. Paris 1827.
  2. In einem großen, viereckigen, bedeckten Gebäude wird in Petersburg das Garde-Bataillon, das gerade den Dienst hat, zur Zeit des Winters exerzirt, und findet hinreichend Raum für seine Manövers. Alexander begab sich jeden Morgen zu Pferde dahin, gefolgt von seinem Generalstabe und von einer Cavalerie-Abtheilung. Dieses Gebäude, das nur einen unermeßlichen Saal bildet, ist vorzüglich dadurch merkwürdig, daß die Decke nicht auf Säulen ruht. Moskau besitzt einen ähnlichen noch größeren Saal, der nach dem Plane und unter Leitung des General Batancourt erbaut wurde.
  3. In Petersburg und Moskau gibt es sehr reiche Kaufleute, die zu dem Stande der Leibeignen gehören; diese leben natürlich abgesondert vom Militär. In den Ostseeprovinzen dagegen, und überall wo deutsche, englische oder französische Kaufleute getroffen werden, leben sie in den freundlichsten Verhältnissen mit dem Militärstande.
    A. d. Red.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_227.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)