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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 54. 23. Februar 1828.

Russische Gesandtschaftsreise nach Bochara[1].


Der Anblick der kirgisischen Steppen, durch welche der Weg von Orenburg nach der Hauptstadt der Bucharey führt, hat etwas melancholisch einförmiges. Mit einem geheimen Schauer betritt der Reisende dieses Land des Schweigens, und kein erquickender Eindruck großer und erhabener Naturscenen belebt seine Einbildungskraft, und bleibt ihm als ein Ersatz für die überstandenen Mühseligkeiten, wenn er es wieder verläßt.

Man denke sich eine Wüste von siebenzig Tagreisen, einen dürren, durch die Hitze aufgeborstenen Boden, dessen Farbe ein schmutziges Gelb ist, einen unermeßlichen Horizont, ohne einen Gegenstand, worauf das Auge gerne verweilen möchte. Nachdem die Sonne schon im Monate Mai das spärliche Gras weggebrannt hat, ist ein armseliges Dorngestrüppe, das sich nicht drei Fuß hoch über die Erde erhebt, nebst einer Art von schwarzem oder grauem Wermuth das einzige Pflanzenleben. Die Steppen von Mittelasien, im Osten des caspischen Meers, vermögen, ihrer ganzen geologischen und klimatischen Beschaffenheit nach, weder viele noch mannigfaltige organische Erzeugnisse hervorzubringen. Dem mit einer schwachen Lage von Thon oder Sand belegten, und an vielen Orten mit Salzen geschwängerten Boden fehlt es an Zeugungskraft. Die strenge Kälte, welche unmittelbar auf eine unmäßige Hitze folgt, hindert das Wachsthum der Bäume und der eigentlichen Kräuter: daher die Seltenheit der Wälder, der Wiesen, und selbst der Heiden. Mag man je zuweilen Pappeln, Weiden oder Buschwerk, das die Höhe von fünf bis sechs Schuh erreicht, in Gruppen bei einander finden, so ist dieß nur in den kleinen Oasen der Fall, in welchen ein in seinem Lauf gesperrter Fluß einen fruchtbaren Schlamm unterhält, oder süße, oft warme Quellen das Erdreich während des ganzen Jahrs bewässern. Indessen bleibt im Ganzen auch hier die Pflanzenwelt der Steppe in ihrem zwergartigen Charakter: die Staudengewächse, und unter diesen die Schotengewächse, herrschen vor.

Dieselbe allgemeine Bemerkung gilt von der thierischen Bevölkerung der Steppe. Die großen Säugthiere Asiens kommen gar nicht oder selten vor. Hier ist das Vaterland der Mäuse, die vielleicht kein Land der Erde in so zahlreichen Variationen aufzuweisen hat. In dem durchlöcherten porosen Boden finden sie gegen den Wechsel der Witterung Schutz, und Nahrung von Wurzeln und Zwiebeln. Im Schilf der großen Flüsse trifft man jedoch auch wilde Schweine und Tiger an.

Vom Ural bis zum Sir-Deria (Jaxartes) oder vielmehr von einem Arme desselben, dem Kuwan-Deria bis zum Amu-Deria, (Oxus) auf einer Strecke von mehr als sieben hundert Wersten (zu 171/5 Min.) gibt es, nachdem der Djan (einst Kizil)-Deria seit etwa zehen Jahren versiegt ist, keinen einzigen Fluß. Man sieht gegenwärtig von Djan-Deria nichts mehr als sein hundert Toisen breites, und 3 bis 4 Toisen tiefes Bett, in welchem noch hie und da ein Loch mit Wasser angefüllt ist. In Gegenden, wo Erdbeben häufig sind, dürfen aber solche Erscheinungen nicht so sehr befremden. Warum, könnte man eben so gut fragen, tritt der Aralsee von Tag zu Tag weiter zurüdk, warum hat der gewaltige Amu-Deria, der sich früher in das caspische Meer mündete, seinen Lauf dergestalt geändert, daß er jetzt in den Aralsee fällt?

Durch das Verdünsten des Wassers und das Einschlucken des Sandes vertrocknen jedes Jahr im Sommer die meisten kleinen Flüsse. Manche von ihnen verwandeln sich dann in eine Reihe von Seen, die entweder gar nicht oder nur durch dünne Wasserfäden miteinander zusammenhängen; manche lassen kein Zeichen ihrer Existenz als das leere Bett übrig, welches sich erst wieder füllt, wenn im Frühling der Schnee schmilzt. Um diese Zeit schwellen die Flüsse und Bäche zu wilden Strömen an, die sich in den mit bunten Kieseln bestreuten, sonst so harten, nun durch das Schnee- und Regenwasser aufgelockerten Thongrund tief einwühlen.

Kleine Hügelketten, nackt und ohne Vegetation, mit abgewaschenem Gipfel, sanft gesenkt gegen Norden, schroff abfallend gegen Süden, durchs Wasser durchfurcht und zerrissen, mit einer Höhe von 10 bis 30 Toisen, laufen über die wellenförmig sich erhebende Ebene hin.

Das ganze Ansehen einer Sandwüste gewinnt das Land, wenn man die Mugladjargebirge, einen Zweig des Urals, zurückgelegt hat. Hier findet man den beweglichen Sand, der dem Reisenden in Afrika so gefährlich ist, vier bis sechs Toisen hohe Dünen, denen jeder Windstoß eine

  1. Voyage d’Orenburg à Boukhara, fait en 1820, à travers des Steppes, qui s’entendent à l’est de la mer d’Aral et au delà de l’ancien Jaxartes, redigé par M. le Baron Georges de Meyendorff, Colonel à l’état, Major de S. M. l’empereur de toutes les Russies et revu par M. le Chevalier Amadée Jaubert etc. Paris 1826.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_223.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)