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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 52. 21. Februar 1828.

Ueber die Möglichkeit, die Bewohner des innern Afrikas zu civilisiren.

(Eine Vorlesung von Hrn. Pacho, gehalten in der Gesellschaft für Geographie in Paris.)

Seit einer langen Reihe von Jahren an die Pforten Afrikas gestellt, durch eine Mission deren Nutzen die Regierung schon mehr als einmal erfuhr, hatte Hr. Drovetti[1] häufige Gelegenheit den Ursachen jener gesellschaftlichen Verbannung nachzuforschen, zu welcher die Einwohner der Centralländer dieses ausgedehnten Welttheils von jeher sich verdammt sahen; denn offenbar müssen wir den Namen eines gesellschaftlichen Zustandes jenem trägen Dahinleben der mittelafrikanischen Volksstäme versagen, welche, blos physische Bedürfnisse kennend, nur ungefähr wie ihre Palmen fortvegetiren, die ihnen auch ihre Hauptnahrung reichen. Dennoch fand Hr. Drovetti bei dem größten Theile der jungen Afrikaner, welche jedes Jahr aus dem Schoße der Wüste zu dem Thale des Nils kommen, einen seltene geistige Empfänglichkeit und einen natürlichen Verstand, von welchem überdieß die europäischen Ateliers des Paschas von Aegypten jeden Tag die überzeugendsten Beweise liefern.

Hält man diese Thatsachen nebeneinander, so scheinen sich daraus auffallende Widersprüche zu ergeben. Warum, wenn die Neger als Individuen so verständig sind, bleiben sie doch als Volk in dieser geistigen Erstarrung? Warum erfinden sie nichts bei sich selbst, während sie doch bei uns einen scharfsinningen Geist zu verrathen scheinen? Warum haben sie noch nie Schiffe gebaut, Häfen gegraben, und die Wüsten durch Kanäle zu bewässern gesucht? Warum ist in der langen Reihe der Jahrhunderte kein Lycurgus unter ihnen entstanden, um Gesetze zu geben, und diese Horden zu Nationen zu bilden? Warum hat sich nie ein Romulus erhoben, und hat aus Sclaven Krieger gemacht?

Sollte das Klima der Grund dieser demüthigenden Gefühllosigkeit seyn? Ein großer Mann hat diese Behauptung gewagt, aber längst hat man ihm durch die Geschichte geantwortet, welche beweist daß die Tugend und der Geist der Nationen nicht nach den Graden des Thermometers berechnet werden können. Oder soll man den Grund in einer eingebornen Erniedrigung der Race suchen? Ist der Afrikaner eine ganz andere Gattung Mensch? Diese Träume einzelner Materialisten sind durch tausen Thatsachen widerlegt, und es scheint außer allem Zweifel, daß das Menschengeschlecht nur Eines ist.

Wir glauben vielmehr die wahre Quelle dieses sittlichen Phänomens weder in dem Einflusse des Klimas, noch in einer empörenden Unterordnung des Geschlechts, sondern blos in den einfachen Verhältnissen der bewohnten Länderstrecken in ihrer Beziehung auf die Bewohner suchen zu dürfen. Man darf annehmen, daß das Fell des Tigers – ein geistreicher Ausdruck mit welchem das Alterthum blos die lybische Wüste bezeichnete – über ganz Afrika ausgedehnt werden kann. Dieser ungeheuere Sandozean, in dessen Mitte nur einzelne Inseln fruchtbarer Erde liegen, mußte die Verbindung dieser Strecken unter einander von jeher äußerst schwierig, und folglich die Vereinigung ihrer Bewohner unmöglich machen. Ueberdies bildet die unermeßliche Saharah ein neues Bollwerk der Trennung zwischen diesen, schon unter sich getrennten Landstrichen und einem großen Theile der afrikanischen Küstenländer. Diese unbewohnbare, brennende Wüste, zwischen Mittelafrika und der civilisirten Welt liegend, stellte der letzteren ein Bollwerk entgegen, welches sie bis jetzt nie zu überschreiten wußte. Daher klagte man, um die eigene Schwäche zu entschuldigen, die Natur einer Verirrung an.

Um diese Behauptungen zu unterstützen, brauchen wir uns nicht gerade tief in die Geschichte zu verlieren. Es ist bekannt, daß von allen jenen civilisirten Völkern, welche im Alterthum die Küstenländer Afrikas inne hatten, keines in seine innern Provinzen vordrang. Nur der Ehrgeiz leitete ihre Eroberungen, während hiezu blos das reine Interesse der Menschlichkeit aufgefordert hätte.

In unserer Zeit sucht ein Handelsvolk das Innere Afrikas, oder vielmehr seine Hülfsquellen und Minen kennen zu lernen. Es verschwendet Gold, um Gold zu gewinnen. Eine Menge von Reisenden, auf’s reichlichste ausgestattet, zogen als Handelsagenten aus, und starben als Märtyrer der Wissenschaft. Auch andere Völker, großartiger in ihren Ansichten, aber beschränkter in ihren Mitteln, richteten hie und da auf diese entfernten Gegenden ihren Blick, jedoch gleichfalls ohne bedeutend größern Erfolg, als daß ehrenvolle Bemühungen mit denselben Opfern gekrönt wurden. Indessen erhielt man durch diese lobenswürdigen Versuche wenigstens einige geographische Notizen. Man sah Seen, Flüsse, Berge; die Charten des Landes änderten sich – die Einwohner blieben dieselben.

  1. Bekanntlich französischer Generalconsul in Aegypten.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_215.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)